Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Mit dem Erscheinungstag dieser Ausgabe bleiben noch 384 Tage bis zum Geltungsbeginn der Verordnung (EU) 2017/745 (MDR). Ist das so oder werden wir ein ähnliches Chaos mit täglich neuen Informationen und Terminverschiebungen erleben wie aktuell (04. April 2019) beim Brexit? Dort ist die über Artikel 50 EU-Vertrag vorgesehene Frist für den Fall, dass kein Austrittsabkommen erreicht werden kann, kurzer Hand verschoben worden. Dabei gibt es nun nicht nur einen, sondern zwei mögliche neue Daten, in Abhängigkeit vom Verhalten der Briten.

 

Können daher auch die Medizinproduktehersteller darauf hoffen, dass es in einem ähnlichen chaotischen Verfahren wenige Wochen vor dem 26. Mai 2020 noch zu einer Verlängerung der Übergangsfrist zur MDR kommt? In Anbetracht der Geschwindigkeit mit der sich in den Kreisen relevanter Entscheider die konkretisierende Erkenntnis breit macht, wie eng die ursprünglich gesetzte Drei-Jahres-Frist ist und wie viele Zwischenschritte und Vorbereitungen notwendig sind, um das MDR-System tatsächlich leben zu können, läge eine solche Annahme nahe. Auch die Erkenntnis, was der ungeregelte Brexit eigentlich bedeutet, ist, obwohl von qualifizierter Stelle schon vor dem Referendum mehr als deutlich dramatisch dargestellt, bei den Entscheidern im britischen Unterhaus wohl erst jetzt langsam und nach Ablauf der Frist des EU-Vertrages angekommen. Verdichtet sich also auch bei den Entscheidern zur MDR erst nach dem 26. Mai 2020 die Erkenntnis, dass eine unbedingte Geltung der MDR zu diesem Termin eben doch mehr weitreichende Folgen haben dürfte, als die allein den Herstellern obliegende zusätzliche Verpflichtung, die Konformitätsbewertungsverfahren dem neuen System „lediglich anzupassen“? Droht schon heute die Situation, dass chirurgische Instrumente zur Wiederverwendung nicht in den Verkehr gebracht werden können, weil die Hersteller faktisch keine Möglichkeit haben, die Produkte neu zertifizieren zu lassen, allein schon deswegen, weil es nicht genügend Benannte Stellen gibt?

 

Auch alle sonstigen Medizinprodukte der bisherigen Klasse I, die aufgrund der neuen verschärften Klassifizierungsregeln unter der MDR einer höheren Klasse angehören, müssen unter obligatorischer Beteiligung einer Benannten Stelle bereits am 26. Mai 2020 komplett fertig und MDR-konform sein. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Editorials gibt es erst eine Benannte Stelle nach der MDR, und es ist der Treppenwitz der EU, dass diese zudem unter dem unsicheren Status eines Wegfalls durch den Brexit steht, weil sie in Großbritannien angesiedelt ist. Ist daher ein Engpass von Medizinprodukten nicht nur aufgrund des Brexits, sondern allein schon durch die zu kurze Übergangsfrist der MDR zu befürchten?

 

Final kann dies aus heutiger Perspektive keiner wirklich wissen. Es steht aber zu befürchten, dass die Mahner – wie beim Brexit auch – am Ende Recht behalten.

 

Selbst wenn die Uhr tickt, stecken wir nicht den Kopf in den Sand. Auch mit dieser Ausgabe wollen wir bei der Vorbereitung auf die MDR in den verbleibenden 384 Tagen helfen. Nehmen Sie sich die Ruhe und Zeit zum Lesen. Ich wünsche zumindest viel Spaß und hoffentlich gute neue Erkenntnisse dabei.

 

Ihr

 

Volker Lücker