Datum: 31. März 2022
Gericht: OLG Frankfurt
Spruchkörper: 6. Zivilsenat
Entscheidungart: Urteil
Aktenzeichen: 6 U 165/20
ECLI: ECLI:DE:OLGHE:2022:0331.6U165.20.00
Vorinstanz: LG Frankfurt am Main
Nachinstanz: BGH
Zulässiges Überkleben einer Marke mit einer neuen PZN auf der Verpackung eines Medizinproduktes (URGO II)
Leitsatz
Das Überdecken einer Marke (hier: im Zuge der Anbringung der neuen PZN) ist grundsätzlich geeignet, die Herkunftsfunktion der Marke zu beeinträchtigen. Indes muss nicht jedes Überkleben der Marke zwangsläufig zu dieser Beeinträchtigung führen. Es ist vielmehr auf die konkrete Gestaltung im Einzelfall abzustellen.
Verfahrensgang
vorgehend LG Frankfurt am Main, 16. September 2020, 3-8 O 14/20, Urteil
nachgehend BGH, I ZR 55/22
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 16.9.2020 verkündete Urteil der 8. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Frankfurt am Main abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tagen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Gründe
I.
Die Parteien streiten über markenrechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit dem Parallelimport von Medizinprodukten. Die Klägerin vertreibt in Deutschland unter der Marke „URGO“ Produkte zur Wundversorgung, zu denen auch die streitgegenständlichen Produkte zählen.
Für eine Konzerngesellschaft der Klägerin ist die Unionswortmarke „URGO“ (Nr. …) eingetragen. Diese Gesellschaft ist ferner Inhaberin der Unionsbildmarke Nr. … (das sog. „URGO-Männchen), einer weiteren Unionsbildmarke Nr. … und einer weiteren Unionswortmarke „Urgo Medical, Healing People (Nr. …). Alle Marken sind für Waren der Warenklasse 5 registriert. Die Klägerin ist als exklusive Lizenznehmerin ermächtigt, in Deutschland Ansprüche aus diesen Marken geltend zu machen und durchzusetzen.
Die Beklagte befasst sich unter anderem mit dem Parallelimport von Medizinprodukten. Sie importierte die streitgegenständlichen Produkte, die unter den streitgegenständlichen Marken mit Zustimmung der Markeninhaberin in Österreich in den Verkehr gebracht worden waren und die vielfach mit der Marke „URGO“ und dem sog. URGO-Männchen gekennzeichnet sind. Dazu überklebte sie neben der PZN einen Teil der Marken, öffnete die Originalverpackungen aber nicht.
Die Klägerin kennzeichnet die in Österreich in den Verkehr gebrachten Wundauflagen wie nachfolgend wiedergegeben: (Bilder der gekennzeichneten Produkte)
Die von der Beklagten überklebten Verpackungen sehen aus, wie nachfolgend wiedergegeben: (Bilder der überklebten Kennzeichnungen)
Hiergegen richtet sich die Klage.
Im Hinblick auf den Antrag zu Ziffer 1. a) geht die die Klägerin primär aus der Unionsmarke „URGO“ (Nr. …), hilfsweise aus der Unionsbildmarke … und äußerst hilfsweise aus der Unionswortmarke … vor und im Hinblick auf den Klageantrag zu Ziffer 1. b) aus der Unionsbildmarke Nr. ….
Das Landgericht hat die Beklagte durch Urteil vom 16.9.2020, auf das gemäß § 540 Abs. 1 ZPO im Hinblick auf die tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, antragsgemäß zur Unterlassung, zur Auskunft sowie zum Schadensersatz verurteilt.
Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, das Markenrecht der Klägerin sei nicht gemäß Art. 15 Abs. 1 UMV erschöpft. Die Klägerin könne sich gemäß Art. 15 Abs. 2 UMV dem weiteren Vertrieb der Ware widersetzen, da der Zustand der Waren nach ihrem Inverkehrbringen verändert bzw. verschlechtert worden sei. Durch das Überkleben und Verdecken der Marke werde der spezifische Gegenstand der Klagemarken beeinträchtigt, der darin bestehe, dem Verbraucher oder Endabnehmer die Herkunft der mit ihr versehenen Ware zu garantieren.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst ihren Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
A) Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch aus Art. 9 Abs. 2 lit. a, 130 Abs. 1 UMV, § 14 Abs. 5, Abs. 2 Nr. 1 MarkenG auf Unterlassung der Benutzung der angegriffenen Bezeichnungen zu, da diese keine der Klagemarken verletzt.
1. Die Beklagte benutzt die angegriffenen Zeichen „URGO“ und das „URGO-Männchen“ – soweit diese nicht überklebt wurden – auf den streitgegenständlichen Verpackungen zweifellos markenmäßig.
2. Es liegt ein Fall der Doppelidentität vor. Die Klagemarken sind unter anderem für „Verbandsmaterial“ eingetragen. Die Beklagte importiert und vertreibt Wundauflagen unter identischen Bezeichnungen.
3. Die Beklagte kann sich jedoch mit Erfolg auf die Erschöpfung (Art. 15 Ans. 1 UMV, § 24 MarkenG) des Verbietungsrechts aus den Marken berufen. Die Produkte wurden erstmals mit Zustimmung der Markeninhaberin in der Europäischen Union in den Verkehr gebracht. Die Klägerin kann sich dem weiteren Vertrieb nicht wegen der von der Beklagten vorgenommenen Veränderungen widersetzen. „Berechtigte Gründe“ im Sinne des Art. 15 Abs. 2 UMV, § 24 Abs. 2 MarkenG liegen nicht vor. Das wäre der Fall, wenn die Veränderung des Originalprodukts tatsächliche Gefahren für die Herkunftsfunktion der Markenware begründen würden. Eine solche Beeinträchtigung ist anzunehmen, wenn die Markenware durch einen Parallelimporteur umgepackt wird. Gleichwohl ist der Widerspruch des Markeninhabers gegen das Umpacken, der eine Abweichung vom Grundsatz des freien Warenverkehrs darstellt, nur dann zulässig, wenn die Ausübung des Rechts durch den Markeninhaber keine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 36 S. 2 AEUV darstellt (EuGH, Urteil vom 17.5.2018 – C-642/16, Rn 25 – Debrisoft). Eine solche verschleierte Beschränkung liegt vor, wenn der Markeninhaber durch die Ausübung seines Rechts, sich dem zu widersetzen, zur künstlichen Abschottung der Märkte zwischen den Mitgliedstaaten beiträgt und wenn das Umpacken zudem unter der Beachtung der berechtigten Interessen des Markeninhabers erfolgt; dies ist insbesondere der Fall, wenn das Umpacken den Originalzustand des Arzneimittels bzw. Medizinprodukts nicht beeinträchtigt und den Ruf der Marke nicht schädigt (EuGH a.a.O. Rn 26).
a) Im Streitfall ist von einem Umpacken auszugehen. Allerdings liegt nicht in jeder Neuetikettierung ein Umpacken. Der EuGH hat auf ein Vorabentscheidungsersuchen des BGH ausgesprochen, dass es sich bei dem Anbringen eines Aufklebers auf der Originalverpackung eines Medizinproduktes nicht um ein Umpacken im Sinne seiner Besprechung handele, weil die Verpackung nicht verändert und die ursprüngliche Aufmachung der Verpackung nicht anders beeinträchtigt worden sei als durch das Anbringen eines kleinen Aufklebers auf einem unbedruckten Teil der ungeöffneten Verpackung, der die Marke nicht verdeckte und den Parallelimporteur unter Angabe seiner Kontaktdaten, eine Strichcodes und einer PZN als Verantwortlichen für das Inverkehrbringen ausweist (BGH, Urteil vom 11.10.2018 – I ZR 165/15, Rn 22 – Debrisoft II). Im Streitfall liegen die Dinge anders. Durch die von der Beklagten aufgebrachten Aufkleber werden beide Klagemarken teilweise abgedeckt, weshalb der Senat – der Klägerin günstig – von einem Umpacken ausgeht.
b) Die Klägerin kann sich dem weiteren Vertrieb der auf diese Weise veränderten Packungen gleichwohl nicht widersetzen, weil die Geltendmachung der Rechte aus den Klagemarken zu einer künstlichen Abschottung der nationalen Märkte führen würde.
Von einer künstlichen Marktabschottung ist auszugehen, wenn Regelungen oder Praktiken im Einfuhrland den Vertrieb der Ware in der unveränderten Originalverpackung verhindern; dagegen ist die Erforderlichkeit für das Umverpacken bzw. die Neuetikettierung nicht gegeben, wenn der Parallelimporteur damit lediglich einen wirtschaftlichen Vorteil erlangen möchte (OLG Frankfurt am Main PharmR 2017, 304, Rn 6; EuGH GRUR 2007, 586, Rn 36, 37 – Boehringer Ingelheim – Swingward II). Die Anforderungen an eine objektive Zwangslage in diesem Sinne dürfen nicht überspannt werden.
c) Die Beklagte hat ein berechtigtes Interesse daran, die PZN der Klägerin durch ihre eigene zu ersetzen. Ohne die von der Beklagten angebrachte eigene PZN sind die von der Beklagten angebotenen Packungen nicht mittels des Warenwirtschafts- und Abrechnungssystems von den Packungen der Klägerin zu unterscheiden. Andernfalls könnte die Klägerin Wettbewerber von einem gleichwertigen Zugang zur elektronischen Warenwirtschaft ausschließen. Könnte die PZN nicht angebracht werden, würde kein Weitervertrieb möglich sein oder dieser zumindest erheblich erschwert, so dass im Endeffekt die Klägerin weiterhin Kontrolle über die Vertriebswege hätte, was mit dem Erschöpfungsgrundsatz unvereinbar wäre; zudem wäre auch der Preiswettbewerb erheblich behindert.
Damit unterstützt das Überkleben der PZN durch eine neue PZN der Beklagten den Normzweck der Erschöpfungsregelungen, der darin besteht, das Markenrecht angemessen zu begrenzen. Mit den Interessen des freien Wirtschaftsverkehrs ist es unvereinbar, den weiteren Vertrieb von Waren, die mit Zustimmung des Zeicheninhabers gekennzeichnet und in den Verkehr gebracht worden sind, markenrechtlich zu behindern.
d) Aus der Tatsache, dass die Beklagte durch das Anbringen des eigenen PZN-Aufklebers die Klagemarke verdeckt hat, kann nichts anderes folgen.
Allerdings kann das Überdecken einer Marke grundsätzlich geeignet sein, die Herkunftsfunktion der Klagemarke zu beeinträchtigen. Indes kann nicht jedes Überkleben der Marke zwangsläufig zu einer derartigen Beeinträchtigung führen. Sonst hätte es der Markeninhaber in der Hand, durch eine mehrfache, großflächige Verteilung seiner Marke auf der Verpackung zu verhindern, dass die von ihr in den Verkehr gebrachte Ware erschöpft und weitervertrieben werden kann. Eine solche Markenstrategie ist nicht schutzwürdig. Daher ist auf die konkrete Gestaltung im Einzelfall abzustellen. Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich auch weder aus der Rechtsprechung des EuGH (EuGH GRUR 2018, 736 – Debrisoft) noch des BGH (GRUR 2019, 515, Rn 22 – Debrisoft II), dass jede Überdeckung der Marke zwangsläufig dazu führt, dass eine Erschöpfung ausgeschlossen ist. Vielmehr wurde dort eine Markenverletzung auch deshalb abgelehnt, weil das Nichtüberkleben der Marke eine Verletzung ausschließe. Der Umkehrschluss, damit sei jedes Überkleben als eine Markenverletzung anzusehen, ist jedoch weder durch die Rechtsprechung des EuGH und BGH gedeckt noch mit den Gesetzen der Logik vereinbar.
e) In der vorliegenden konkreten Gestaltung sieht der Senat keine Verletzung berechtigter Interessen der Markeninhaberin.
aa) Die überdeckte Unionswortmarke „URGO“ ist auf der Originalverpackung in unmittelbarer Nähe des Strichcodes unter der PZN aufgebracht. Sie hat an dieser Stelle für die Kennzeichnung des Produkts keine nennenswerte Bedeutung. Die Klagemarke findet sich weiterhin unverändert auf allen Verpackungsseiten an prominenter Stelle in deutlich größerer Form. Diese Kennzeichnungen hat die Beklagte nicht verändert. Bei dieser Sachlage liegt insbesondere kein Fall vor, in welchem im Sinne der Debrisoft-Entscheidung des EuGH „die Marke verdeckt“ wird (EuGH GRUR 2018, 736 Rn 35 – Debrisoft; vgl. schon OLG Frankfurt am Main GRUR-RR 2019, 426 Rn 26). Vielmehr drängt sich der Gedanke auf, dass die Klägerin die Marke an dieser unauffälligen und ungewöhnlichen Stelle bewusst unter dem Barcode und neben der PZN angebracht hat, um zu provozieren, dass bei der nötigen (und zulässigen) Anbringung der PZN durch die Beklagte die Marke mitüberdeckt wird. Dass dies bei einer manuellen Aufbringung von Etiketten auf jeder einzelnen Verpackung, wie auf S. 14 des Schriftsatzes der Klägerin vom 26.5.2020 (Bl. 132 d.A.) dargestellt, verhindert wird, stellt die wirtschaftliche Unmöglichkeit eines solchen Vorgehens nicht in Frage.
bb) Nichts anderes gilt für die Unionsbildmarke, das sog. „URGO-Männchen“. Dieses findet sich auf den streitgegenständlichen Verpackungen in einer Vielzahl, dass die Annahme ausgeschlossen ist, das Überkleben einzelner Männchen könnte die Herkunftsfunktion der Marke beeinträchtigen.
B) Mangels Rechtsverletzung hat die Klage auch mit den Folgeanträgen keinen Erfolg; Die Beklagte schuldet der Klägerin weder Auskunft noch Schadensersatz.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 709 S. 2 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert es die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, eine Entscheidung des Revisionsgerichts herbeizuführen. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung unter Anwendung der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze.
Auch die von der Klägerin angeregte Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zu der Frage, ob im Streitfall ein Umpacken anzunehmen ist, ist nicht veranlasst, da der Senat, wie ausgeführt, zu Gunsten der Klägerin von einem Umpacken ausgeht.