Datum: 13. Oktober 2022
Gericht: EuGH
Spruchkörper: Zweite Kammer
Entscheidungart: Urteil
Aktenzeichen: C-616/20
ECLI: ECLI:EU:C:2022:781
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)
13. Oktober 2022(*)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Humanarzneimittel – Richtlinie 2001/83/EG – Art. 1 Nr. 2 Buchst. b – Begriff ,Funktionsarzneimittel‘ – Fehlen wissenschaftlicher Untersuchungen – Wissenschaftliche Erkenntnisse zu einem Strukturanalogon – Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 – Kosmetisches Mittel – Konkrete, der menschlichen Gesundheit zuträgliche Wirkungen – Unmittelbar oder mittelbar zuträgliche Wirkungen – Positive Wirkungen auf das Aussehen“
In der Rechtssache C‑616/20
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Köln (Deutschland) mit Entscheidung vom 27. Oktober 2020, beim Gerichtshof eingegangen
am 19. November 2020, in dem Verfahren
M2Beauté Cosmetics GmbH
gegen
Bundesrepublik Deutschland
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richterin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter F. Biltgen, N. Wahl (Berichterstatter) und J. Passer,
Generalanwältin: T. Ćapeta,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der M2Beauté Cosmetics GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt P. Pfortner,
– der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch S. Schönemann als Bevollmächtigte,
– der estnischen Regierung, vertreten durch N. Grünberg als Bevollmächtigte,
– der griechischen Regierung, vertreten durch Z. Chatzipavlou, K. Georgiadis und V. Karra als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Noll-Ehlers, E. Sanfrutos Cano und A. Sipos als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 7. April 2022
folgendes
Urteil
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der M2Beauté Cosmetics GmbH und der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Deutschland, im Folgenden: BfArM), wegen eines Bescheids, mit dem das BfArM feststellte, dass ein von M2Beauté Cosmetics als kosmetisches Mittel in den Verkehr gebrachtes Mittel zur Förderung des Wimpernwachstums als Arzneimittel und nicht als kosmetisches Mittel einzustufen sei.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2001/83
3 In den Erwägungsgründen 2 und 7 der Richtlinie 2001/83 heißt es:
„(2) Alle Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf dem Gebiet der Herstellung, des Vertriebs oder der Verwendung von Arzneimitteln müssen in erster Linie einen wirksamen Schutz der öffentlichen Gesundheit gewährleisten.
…
(7) Die Begriffe Schädlichkeit und therapeutische Wirksamkeit können nur in ihrer wechselseitigen Beziehung geprüft werden und haben nur eine relative Bedeutung, die nach Maßgabe des Standes der Wissenschaft und unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung des Arzneimittels beurteilt wird. Aus den Angaben und Unterlagen, die dem Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen beizufügen sind, muss hervorgehen, dass die Wirksamkeit höher zu bewerten ist als die potenziellen Risiken.“
4 Art. 1 Nr. 2 in Titel I („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2001/83 sieht vor:
„Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet:
Arzneimittel:
a) Alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bestimmt sind, oder
b) alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen.“
5 Art. 2 der Richtlinie 2001/83 bestimmt:
„(1) Diese Richtlinie gilt für Humanarzneimittel, die in den Mitgliedstaaten in den Verkehr gebracht werden sollen und die entweder gewerblich zubereitet werden oder bei deren Zubereitung ein industrielles Verfahren zur Anwendung kommt.
(2) In Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Eigenschaften sowohl unter die Definition von ‚Arzneimittel‘ als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere gemeinschaftliche Rechtsvorschriften geregelt ist, gilt diese Richtlinie.
…“
6 Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 sieht vor:
„Ein Arzneimittel darf in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden, wenn die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats nach dieser Richtlinie eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt hat oder wenn eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl. 2004, L 136, S. 1)] in Verbindung mit der Verordnung (EG) Nr. 1901/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Kinderarzneimittel [und zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92, der Richtlinien 2001/20/EG und 2001/83/EG sowie der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 (ABl. 2006, L 378, S. 1)] und der Verordnung (EG) Nr. 1394/2007 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Arzneimittel für neuartige Therapien und zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG und der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 (ABl. 2007, L 324, S. 121)] erteilt wurde.
…“
7 Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 sieht vor:
„Für die Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen, die nicht auf einem Verfahren basiert, welches durch die Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 [des Rates vom 22. Juli 1993 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. 1993, L 214, S. 1)] eingesetzt wurde, ist ein Antrag bei der zuständigen betroffenen Behörde des Mitgliedstaats zu stellen.“
8 Art. 8 Abs. 3 Buchst. i und ia der Richtlinie 2001/83 bestimmt:
„Dem Antrag sind folgende Angaben und Unterlagen nach Maßgabe von Anhang I beizufügen:
…
i) Ergebnisse von:
– pharmazeutischen (physikalisch-chemischen, biologischen oder mikrobiologischen) Versuchen,
– vorklinischen (toxikologischen und pharmakologischen) Versuchen,
– klinischen Versuchen;
ia) Zusammenfassung des Pharmakovigilanz-Systems des Antragstellers, die Folgendes umfassen muss:
– Nachweis, dass der Antragsteller über eine qualifizierte Person verfügt, die für die Pharmakovigilanz verantwortlich ist,
– Angabe der Mitgliedstaaten, in denen diese Person ansässig und tätig ist,
– die Kontaktangaben zu dieser qualifizierten Person,
– vom Antragsteller unterzeichnete Erklärung, dass er über die notwendigen Mittel verfügt, um den in Titel IX aufgeführten Aufgaben und Pflichten nachzukommen,
– Angabe des Ortes, an dem die Pharmakovigilanz-Stammdokumentation für das betreffende Arzneimittel geführt wird.“
9 Die Verordnung Nr. 726/2004 hat die Verordnung Nr. 2309/93 ersetzt. Nach Art. 88 Abs. 2 der Verordnung Nr. 726/2004 gelten Bezugnahmen auf die Verordnung (EG) Nr. 2309/93 als Bezugnahmen auf die Verordnung Nr. 726/2004.
Verordnung (EG) Nr. 1223/2009
10 Art. 1 („Gegenstand und Zielsetzung“) der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über kosmetische Mittel (ABl. 2009, L 342, S. 59) lautet:
„Mit dieser Verordnung werden Regeln aufgestellt, die jedes auf dem Markt bereitgestellte kosmetische Mittel erfüllen muss, um das Funktionieren des Binnenmarktes und ein hohes Gesundheitsschutzniveau zu gewährleisten.“
11 Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1223/2009 lautet:
„,kosmetisches Mittel‘: Stoffe oder Gemische, die dazu bestimmt sind, äußerlich mit den Teilen des menschlichen Körpers (Haut, Behaarungssystem, Nägel, Lippen und äußere intime Regionen) oder mit den Zähnen und den Schleimhäuten der Mundhöhle in Berührung zu kommen, und zwar zu dem ausschließlichen oder überwiegenden Zweck, diese zu reinigen, zu parfümieren, ihr Aussehen zu verändern, sie zu schützen, sie in gutem Zustand zu halten oder den Körpergeruch zu beeinflussen“.
12 Art. 13 („Notifizierung“) Abs. 2 der Verordnung Nr. 1223/2009 bestimmt:
„Wird ein kosmetisches Mittel in Verkehr gebracht, notifiziert die verantwortliche Person der [Europäischen] Kommission das Originaletikett und eine Fotografie der entsprechenden Verpackung, wenn sie ausreichend lesbar ist.“
Deutsches Recht
13 In § 2 Abs. 1, 3 und 3a des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz – AMG) vom 24. August 1976 (BGBl. 1976 I S. 2445) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: AMG) heißt es:
„(1) Arzneimittel sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen,
1. die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind, oder
2. die im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet oder einem Menschen oder Tier verabreicht werden können, um entweder
a) die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder
b) eine medizinische Diagnose zu erstellen.
…
(3) Arzneimittel sind nicht …
…
2. kosmetische Mittel im Sinne des § 2 Abs. 5 des [Lebensmittel‑, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuchs (Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch – LFGB)] …
(3a) Arzneimittel sind auch Erzeugnisse, die Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen sind oder enthalten, die unter Berücksichtigung aller Eigenschaften des Erzeugnisses unter eine Begriffsbestimmung des Absatzes 1 fallen und zugleich unter die Begriffsbestimmung eines Erzeugnisses nach Absatz 3 fallen können.“
14 § 21 Abs. 4 AMG bestimmt:
„Die zuständige Bundesoberbehörde entscheidet ferner … auf Antrag einer zuständigen Landesbehörde über die Zulassungspflicht eines Arzneimittels …“
15 § 2 Abs. 5 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung lautet:
„Kosmetische Mittel sind Stoffe oder Gemische aus Stoffen, die ausschließlich oder überwiegend dazu bestimmt sind, äußerlich am Körper eines Menschen oder in seiner Mundhöhle zur Reinigung, zum Schutz, zur Erhaltung eines guten Zustandes, zur Parfümierung, zur Veränderung des Aussehens oder dazu angewendet zu werden, den Körpergeruch zu beeinflussen. Als kosmetische Mittel gelten nicht Stoffe oder Gemische aus Stoffen, die zur Beeinflussung der Körperformen bestimmt sind.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
16 M2Beauté Cosmetics, eine Gesellschaft mit Sitz in Deutschland, entwickelte ein als „M2 Eyelash activating serum“ bezeichnetes Produkt, das sie als kosmetisches Mittel in den Verkehr bringt. Das betreffende Produkt fördert nach ihren Angaben das Wachstum und die Dichte der Wimpern bis zu 50 %. Es befindet sich in einer länglichen Flasche mit einem integrierten Pinsel.
17 Das Produkt enthält einen Wirkstoff mit der Bezeichnung „Methylamido-Dihydro-Noralfaprostal“ (im Folgenden: MDN), dessen Konzentration nach den Erklärungen der deutschen Regierung im schriftlichen Verfahren zwischen 0,001 % und 0,302 % schwankt.
18 MDN ist ein neuartiger synthetischer Wirkstoff, der zur Gruppe der Prostaglandinderivate gehört, die mit dem menschlichen Gewebshormon Prostaglandin verwandt sind. MDN ist in der Molekularstruktur weitgehend identisch mit Bimatoprost (im Folgenden: BMP), das in Deutschland als Arzneimittel zugelassen und unter dem Namen „Lumigan“ in Augentropfen zur Behandlung des Glaukoms vertrieben wird. In den USA wurde BMP ebenfalls bei einer Hypotrichose der Wimpern als Arzneimittel zugelassen und wird unter dem Namen „Latisse“ vertrieben. Diese beiden Produkte enthalten BMP in einer Konzentration von 0,03 %.
19 Mit Bescheid vom 29. April 2014 stellte das BfArM fest, dass es sich bei dem betreffenden Produkt, nämlich „M2 Eyelash activating serum“, nicht um ein Kosmetikum, sondern um ein „Funktionsarzneimittel“ im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG handele, mit dem Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 in deutsches Recht umgesetzt wird.
20 Obwohl es keine Untersuchungen zu den chemischen und biologischen Eigenschaften von MDN gibt, vertrat das BfArM in dem Bescheid die Auffassung, dass die Wirkungen dieses Stoffes mit denen von BMP vergleichbar seien, da die Molekülstruktur dieser beiden Stoffe ähnlich sei. Dies werde dadurch bestätigt, dass M2Beauté Cosmetics in eigenen Testreihen ein verstärktes Wimpernwachstum bei Anwendung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Wirkstoffs festgestellt habe. Also habe MDN eine pharmakologische Wirkung, indem es eine Wechselwirkung mit dem Prostamidrezeptor eingehe.
21 Außerdem sei die Verlängerung und Verdichtung der Wimpern wie bei BMP auch bei MDN eine nennenswerte Beeinflussung der Körperfunktionen. Schließlich ergebe sich die Einstufung des betreffenden Produkts als „Funktionsarzneimittel“ im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG auch daraus, dass das Vorliegen einer Gesundheitsgefahr bei seiner Anwendung nicht ausgeschlossen werden könne. Wegen der strukturellen Analogie seien nämlich bei MDN ähnliche Nebenwirkungen wie bei BMP wahrscheinlich, nämlich eine Hyperämie (Rötung) der Bindehaut, Augenjucken oder Kopfschmerzen.
22 Nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens erhob M2Beauté Cosmetics am 9. November 2017 beim vorlegenden Gericht Klage auf Aufhebung des Bescheids des BfArM.
23 Zur Stützung ihrer Klage macht M2Beauté Cosmetics geltend, dass die pharmakologische Wirkung des betreffenden Produkts nicht nachgewiesen worden sei. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergebe sich, dass der Begriff „Arzneimittel“ im Sinne der Richtlinie 2001/83 keine Stoffe erfasse, deren Wirkungen sich auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen beschränkten, ohne dass sie geeignet wären, der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein, wie es nach Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 verlangt werde.
24 Das vorlegende Gericht wirft daher die Frage auf, inwieweit die nationalen Behörden und Gerichte für die Feststellung der pharmakologischen Wirkungen eines Produkts und der mit ihm verbundenen Risiken zuständig sind, wenn keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse zu dem verwendeten Wirkstoff in einer bestimmten Dosierung und Anwendung vorliegen. Eine pharmakologische Wirkung dieses Produkts sei nur nachgewiesen, wenn die vom BfArM angenommene Strukturanalogie zwischen dem im vorliegenden Fall angewandten Wirkstoff MDN und dem betreffenden Strukturanalogon, BMP, ausreichend sei.
25 Vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht Köln (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist eine nationale Behörde bei der Einstufung eines kosmetischen Mittels als Funktionsarzneimittel im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83, die eine Prüfung aller Merkmale des Produkts einschließt, berechtigt, die erforderliche wissenschaftliche Feststellung der pharmakologischen Eigenschaften des Produkts sowie seiner Risiken auf eine sogenannte „Strukturanalogie“ zu stützen, wenn der verwendete Wirkstoff neu entwickelt worden ist, in seiner Struktur bereits bekannten und untersuchten pharmakologischen Wirkstoffen vergleichbar ist, aber keine umfassenden pharmakologischen, toxikologischen oder klinischen Untersuchungen des neuen Stoffes zu seinen Wirkungen und seiner Dosierung vom Antragsteller vorgelegt werden, die nur bei Anwendung der Richtlinie 2001/83 erforderlich sind?
2. Ist Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 dahin gehend auszulegen, dass ein Produkt, das als Kosmetikum in den Verkehr gebracht wird und die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische Wirkung nennenswert beeinflusst, nur dann als Funktionsarzneimittel anzusehen ist, wenn es eine konkrete positive, die Gesundheit fördernde Wirkung hat? Genügt es hierbei auch, dass das Erzeugnis vorwiegend eine positive Auswirkung auf das Aussehen hat, die der Gesundheit durch eine Steigerung des Selbstwertgefühls oder des Wohlbefindens mittelbar zuträglich ist?
3. Oder ist es auch dann ein Funktionsarzneimittel, wenn sich seine positive Wirkung auf eine Verbesserung des Aussehens beschränkt, ohne der Gesundheit unmittelbar oder mittelbar dienlich zu sein, wenn es aber nicht ausschließlich gesundheitsschädliche Eigenschaften hat und deshalb einem Rauschmittel nicht vergleichbar ist?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
26 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass eine nationale Behörde bei der Einstufung eines Produkts als „Arzneimittel“ im Sinne dieser Bestimmung die pharmakologischen Eigenschaften dieses Produkts feststellen kann, indem sie sich auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu einem Strukturanalogon dieses Stoffes stützt, wenn keine wissenschaftlichen Untersuchungen des fraglichen Stoffes verfügbar sind.
27 Erstens ist darauf hinzuweisen, dass Art. 1 Nr. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/83 zwei Definitionen des Begriffs „Arzneimittel“ enthält. Ein Produkt stellt demnach ein Arzneimittel im Sinne dieser Richtlinie dar, wenn es der Definition von „Präsentationsarzneimittel“ oder der Definition von „Funktionsarzneimittel“ entspricht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Oktober 2013, Laboratoires Lyocentre, C‑109/12, EU:C:2013:626, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).
28 Was die zweite Definition des Begriffs „Arzneimittel“ in Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 angeht, gelten als „Arzneimittel “„alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die im oder am menschlichen Körper verwendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder eine medizinische Diagnose zu erstellen“.
29 Anders als der Begriff „Präsentationsarzneimittel“, dessen weite Auslegung die Verbraucher vor Erzeugnissen schützen soll, die nicht die Wirksamkeit besitzen, welche sie erwarten dürfen, soll der Begriff „Funktionsarzneimittel“ nach ständiger Rechtsprechung diejenigen Erzeugnisse erfassen, deren pharmakologische Eigenschaften wissenschaftlich festgestellt wurden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Januar 2009, Hecht-Pharma, C‑140/07, EU:C:2009:5, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 6. September 2012, Chemische Fabrik Kreussler, C‑308/11, EU:C:2012:548, Rn. 30).
30 Konkret haben die nationalen Behörden, die unter der Kontrolle der Gerichte tätig werden, bei der Einstufung eines Produkts als „Funktionsarzneimittel“ im Sinne der Richtlinie 2001/83 von Fall zu Fall zu entscheiden und dabei alle Merkmale des Erzeugnisses zu berücksichtigen, insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften – wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen –, die Modalitäten seines Gebrauchs, den Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann (Urteil vom 3. Oktober 2013, Laboratoires Lyocentre, C‑109/12, EU:C:2013:626, Rn. 42).
31 Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass sich die erste Frage insbesondere auf die Beurteilung der pharmakologischen Eigenschaften des in dem betreffenden Produkt enthaltenen Stoffes bezieht, die bei der Einstufung dieses Produkts als „Funktionsarzneimittel“ „wissenschaftlich festgestellt“ oder „beim jeweiligen Stand der Wissenschaft festgestellt“ sein müssen, wenn eine solche Beurteilung nicht auf Untersuchungen des betreffenden Stoffes im eigentlichen Sinne beruht, sondern sich nur aus wissenschaftlich fundierten Bewertungen eines Strukturanalogons dieses Stoffes ergibt.
32 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es bei der Bedingung, dass die pharmakologischen Eigenschaften des betreffenden Stoffes „wissenschaftlich festgestellt“ oder „beim jeweiligen Stand der Wissenschaft“ festgestellt werden müssen, in erster Linie um Untersuchungen des betreffenden Stoffes geht. Diese Bedingung kann jedoch die Berücksichtigung anderer wissenschaftlicher Erkenntnisse, anhand deren sich diese pharmakologischen Eigenschaften feststellen lassen, auch dann nicht ausschließen, wenn es keine Untersuchungen speziell zu diesem Stoff gibt.
33 Folglich ist die Bedingung in Bezug auf das Vorliegen einer „wissenschaftlichen Feststellung“ als erfüllt anzusehen, wenn für einen Stoff, zu dem keine spezifische Untersuchung durchgeführt wurde, der jeweilige Stand der Wissenschaft in Bezug auf Strukturanaloga darauf schließen lässt, dass dieser Stoff Wirkungen hat, die mit denen eines anderen vorhandenen Stoffes vergleichbar sind, und somit die pharmakologische Wirkung dieses Stoffes in einer bestimmten Konzentration beurteilt werden kann, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
34 Darüber hinaus steht eine solche Auslegung im Einklang mit dem Mechanismus, den der Unionsgesetzgeber mit dem Erlass der Richtlinie 2001/83 eingeführt hat. Nach dieser Richtlinie ist nämlich jeder, der ein Arzneimittel in den Verkehr bringen möchte, verpflichtet, gemäß Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie einen Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Arzneimittels zu stellen. Nach der Richtlinie ist des Weiteren erforderlich, dass für die Erteilung dieser Genehmigung die Ergebnisse der pharmazeutischen, vorklinischen und klinischen Versuche sowie eine Beschreibung des Pharmakovigilanz-Systems gemäß Art. 8 Abs. 3 Buchst. i und ia der Richtlinie vorgelegt werden.
35 Daher sollen die Untersuchungen eines Arzneimittels als Grundlage für die Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen dienen, die auf der Prüfung der Wechselbeziehung zwischen Schädlichkeit und therapeutischer Wirksamkeit beruht, wie im siebten Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83 bestätigt wird. So ermöglicht es die Durchführung pharmazeutischer, vorklinischer und klinischer Versuche, die vor der Erteilung einer solchen Genehmigung erforderlich sind, den zuständigen Behörden, eine Abwägung zwischen den mit einem bestimmten Stoff verbundenen Risiken und seiner Eignung zur Behandlung einer bestimmten Krankheit insbesondere unter Berücksichtigung des Standes der Wissenschaft vorzunehmen.
36 Allerdings kann nicht zugelassen werden, dass die in der Richtlinie 2001/83 vorgesehenen Bedingungen und insbesondere die Pflicht, Untersuchungen zu den Eigenschaften eines Arzneimittels vor einem Inverkehrbringen vorzulegen, umgangen werden, z. B. indem dieses Produkt als „kosmetisches Mittel“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1223/2009 präsentiert wird. Dies widerspräche nämlich sowohl dem mit dieser Richtlinie verfolgten Ziel als auch dem Wortlaut ihres Art. 2 Abs. 2, wonach in Zweifelsfällen, in denen ein Erzeugnis unter Berücksichtigung aller seiner Merkmale sowohl unter die Definition von „Arzneimittel“ als auch unter die Definition eines Erzeugnisses fallen kann, das durch andere Rechtsvorschriften der Union geregelt ist, diese Richtlinie gilt.
37 Da es sich um ein Strukturanalogon zu einem vorhandenen Stoff handelt, bestünde eine solche Gefahr einer Umgehung allerdings dann nicht, wenn der Grad der Analogie auf der Grundlage einer objektiven und wissenschaftlich fundierten Analyse die Annahme zulässt, dass ein Stoff, der in einem Produkt in einer bestimmten Konzentration vorhanden ist, die gleichen Eigenschaften aufweist wie ein vorhandener Stoff, für den die erforderlichen Untersuchungen vorliegen. In einem solchen Fall darf sich eine nationale Behörde daher bei der Einstufung dieses Produkts als „Funktionsarzneimittel“ im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 auf das Vorhandensein des betreffenden Strukturanalogons stützen, um die pharmakologischen Eigenschaften des fraglichen Produkts unter Berücksichtigung der Modalitäten seines Gebrauchs, des Umfangs seiner Verbreitung, seiner Bekanntheit bei den Verbrauchern und der Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann, festzustellen.
38 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass eine nationale Behörde bei der Einstufung eines Produkts als „Arzneimittel“ im Sinne dieser Bestimmung die pharmakologischen Eigenschaften dieses Produkts feststellen kann, indem sie sich auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu einem Strukturanalogon dieses Stoffes stützt, wenn keine wissenschaftlichen Untersuchungen des Stoffes, aus dem das Produkt besteht, verfügbar sind und sofern der Grad der Analogie auf der Grundlage einer objektiven und wissenschaftlich fundierten Analyse die Annahme zulässt, dass ein Stoff, der in einem Produkt in einer bestimmten Konzentration vorhanden ist, die gleichen Eigenschaften aufweist wie ein vorhandener Stoff, für den die erforderlichen Untersuchungen vorliegen.
Zu den Fragen 2 und 3
39 Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass ein Produkt, das die physiologischen Funktionen beeinflusst, aber keine die Gesundheit fördernde Wirkung hat, als „Arzneimittel“ im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden kann, wenn es das Aussehen verbessert, ohne schädliche Eigenschaften zu haben.
40 Erstens ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „beeinflussen“ zwar entsprechend seinem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch nichts über den positiven oder schädlichen Charakter der Wirkungen aussagt, dass jedoch nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift nicht nur ihr Wortlaut zu berücksichtigen ist, sondern auch ihr Kontext und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 26. April 2022, Landespolizeidirektion Steiermark [Höchstdauer von Kontrollen an den Binnengrenzen], C‑368/20 und C‑369/20, EU:C:2022:298, Rn. 56).
41 Im vorliegenden Fall ist Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 im Licht des mit dieser Richtlinie verfolgten Ziels auszulegen, nämlich ein hohes Gesundheitsschutzniveau zu gewährleisten.
42 Insoweit ist der Ausdruck „die physiologischen Funktionen beeinflussen“ im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen, dass er die Stoffe erfasst, die geeignet sind, dem Funktionieren des menschlichen Organismus und folglich der menschlichen Gesundheit zuträglich zu sein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Juli 2014, D. und G., C‑358/13 und C‑181/14, EU:C:2014:2060, Rn. 30 bis 33 und 37).
43 Ein „Funktionsarzneimittel“ im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 muss nämlich die potenzielle Fähigkeit haben, der menschlichen Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Oktober 2013, Laboratoires Lyocentre, C‑109/12, EU:C:2013:626, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).
44 Was zweitens die Charakterisierung einer Wirkung angeht, die als der Gesundheit zuträglich angesehen werden kann, ist darauf hinzuweisen, dass die Beurteilung, die die nationalen Behörden bei der Einstufung eines Produkts als „Funktionsarzneimittel“ im Sinne von Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 vorzunehmen haben, eine Einzelfallprüfung ist, wie in Rn. 30 des vorliegenden Urteils ausgeführt wurde.
45 Hierzu müssen die nationalen Behörden, wie ebenfalls in Rn. 30 des vorliegenden Urteils dargelegt wurde, alle Merkmale des betreffenden Produkts berücksichtigen, darunter insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften, die Modalitäten seines Gebrauchs, den Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann.
46 Ob ein Produkt der Gesundheit zuträglich ist, kann daher nicht abstrakt beurteilt werden, ohne den spezifischen Gebrauch dieses Produkts zu berücksichtigen. Die Tatsache, dass ein Produkt geeignet ist, das Aussehen zu verbessern, ohne schädliche Eigenschaften zu haben, oder dass es das Aussehen verbessern und folglich zu einer Steigerung des Selbstwertgefühls oder des Wohlbefindens führen kann, reicht für sich allein nicht dafür aus, dass gesundheitsfördernde Wirkungen „wissenschaftlich festgestellt“ sind.
47 Außerdem können nach ständiger Rechtsprechung die positiven Wirkungen, die der betreffende Stoff für das Funktionieren des menschlichen Organismus haben kann, unmittelbar oder mittelbar sein, und zwar auch ohne dass eine Krankheit vorliegt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Juli 2014, D. und G., C‑358/13 und C‑181/14, EU:C:2014:2060, Rn. 36).
48 Auch wenn es möglich ist, dass ein Produkt der Definition des „Funktionsarzneimittels“ in Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 entspricht, wenn keine Krankheit vorliegt, ist dennoch der Umstand, dass es zu therapeutischen Zwecken verschrieben werden kann, ein entscheidendes Kriterium für seine Einstufung als „Funktionsarzneimittel“.
49 Wird auf der Grundlage wissenschaftlicher Untersuchungen nachgewiesen, dass ein Produkt als geeignet angesehen wird, zur Behandlung einer anerkannten Krankheit zu dienen, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist, muss sich daraus somit die Feststellung gesundheitsfördernder Wirkungen ergeben.
50 Umgekehrt ist, wenn das betreffende Produkt nicht einmal potenziell zur Behandlung einer anerkannten Krankheit verwendet wird, die Voraussetzung, dass es gesundheitsfördernde Wirkungen gibt, nicht erfüllt.
51 Insoweit ist zu betonen, dass die bloße Tatsache, dass ein Produkt das Aussehen verbessert, ohne schädliche Eigenschaften zu haben, nicht für die Annahme ausreicht, dass es gesundheitsfördernde Wirkungen haben und damit der Definition des Funktionsarzneimittels in Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 entsprechen kann. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass das Kriterium der Eignung, physiologische Funktionen wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen, nicht dazu führen darf, dass Erzeugnisse als Funktionsarzneimittel eingestuft werden, die zwar auf den menschlichen Körper einwirken, aber keine nennenswerten physiologischen Auswirkungen haben und seine Funktionsbedingungen somit nicht wirklich beeinflussen (Urteil vom 30. April 2009, BIOS Naturprodukte, C‑27/08, EU:C:2009:278, Rn. 21).
52 Folglich setzt die Einstufung als Funktionsarzneimittel im Sinne dieser Bestimmung voraus, dass die potenzielle Fähigkeit des betreffenden Produkts, einen konkreten gesundheitlichen Nutzen herbeizuführen, festgestellt werden kann. Andernfalls kann dieses Erzeugnis nicht als Funktionsarzneimittel eingestuft werden. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass sich dieser Nutzen zwar aus einer Verbesserung des Aussehens ergeben kann, unter Berücksichtigung der Steigerung des Selbstwertgefühls oder des Wohlbefindens, das diese Verbesserung bewirkt, eine solche Bewertung aber nicht aus einer subjektiven Beurteilung folgen darf, sondern auf einer wissenschaftlichen Feststellung beruhen muss. Diese Bedingung ist erfüllt, wenn das Erzeugnis als geeignet angesehen wird, zur Behandlung einer anerkannten Krankheit zu dienen; dies zu prüfen ist Sache des vorlegenden Gerichts.
53 Nach alledem ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen ist, dass ein Produkt, das die physiologischen Funktionen beeinflusst, nur dann als „Arzneimittel“ im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden kann, wenn es konkrete, der Gesundheit zuträgliche Wirkungen hat. Insoweit genügt eine Verbesserung des Aussehens, die durch die Steigerung des Selbstwertgefühls oder des Wohlbefindens einen mittelbaren Nutzen herbeiführt, wenn sie die Behandlung einer anerkannten Krankheit ermöglicht. Dagegen kann ein Produkt, das das Aussehen verbessert, ohne schädliche Eigenschaften zu haben, und das keine gesundheitsfördernden Wirkungen hat, nicht als „Arzneimittel“ im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden.
Kosten
54 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2010/84/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2010 hinsichtlich der Pharmakovigilanz geänderten Fassung
ist dahin auszulegen, dass
eine nationale Behörde bei der Einstufung eines Produkts als „Arzneimittel“ im Sinne dieser Bestimmung die pharmakologischen Eigenschaften dieses Produkts feststellen kann, indem sie sich auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu einem Strukturanalogon dieses Stoffes stützt, wenn keine wissenschaftlichen Untersuchungen des Stoffes, aus dem das Produkt besteht, verfügbar sind und sofern der Grad der Analogie auf der Grundlage einer objektiven und wissenschaftlich fundierten Analyse die Annahme zulässt, dass ein Stoff, der in einem Produkt in einer bestimmten Konzentration vorhanden ist, die gleichen Eigenschaften aufweist wie ein vorhandener Stoff, für den die erforderlichen Untersuchungen vorliegen.
2. Art. 1 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2010/84 geänderten Fassung
ist dahin auszulegen, dass
ein Produkt, das die physiologischen Funktionen beeinflusst, nur dann als „Arzneimittel“ im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden kann, wenn es konkrete, der Gesundheit zuträgliche Wirkungen hat. Insoweit genügt eine Verbesserung des Aussehens, die durch die Steigerung des Selbstwertgefühls oder des Wohlbefindens einen mittelbaren Nutzen herbeiführt, wenn sie die Behandlung einer anerkannten Krankheit ermöglicht. Dagegen kann ein Produkt, das das Aussehen verbessert, ohne schädliche Eigenschaften zu haben, und das keine gesundheitsfördernden Wirkungen hat, nicht als „Arzneimittel“ im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden.
Prechal Arastey Sahún Biltgen
Wahl Passer
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 13. Oktober 2022.
Der Kanzler Die Kammerpräsidentin
A. Calot Escobar A. Prechal
* Verfahrenssprache: Deutsch.