Datum: 12. Februar 2025

Gericht: EuG

Entscheidungart: Urteil

Aktenzeichen: T-394/23

ECLI: ECLI:EU:T:2025:148

URTEIL DES GERICHTS (Achte Kammer)

 

12. Februar 2025(*)

 

„ Öffentliches Gesundheitswesen – Rechtsrahmen der Union für Medizinprodukte – Schutzklausel – Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 93/42/EWG – Mitteilung eines Mitgliedstaats über eine Entscheidung, mit der das Inverkehrbringen eines Medizinprodukts verboten wird – Medizinprodukt ‚Inhaler Broncho-Air®‘ – Aufhebung der Richtlinie 93/42 – Art. 94 bis 97 der Verordnung (EU) 2017/745 – Verletzung wesentlicher Formvorschriften “

 

In der Rechtssache T‑394/23,

 

Christoph Klein, wohnhaft in Großgmain (Österreich), vertreten durch Rechtsanwalt H.‑J. Ahlt,

Kläger,

 

gegen

 

Europäische Kommission, vertreten durch M. Noll-Ehlers, A. Spina und E. Sanfrutos Cano als Bevollmächtigte,

Beklagte,

 

unterstützt durch

 

Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch P.‑L. Krüger und J. Möller als Bevollmächtigte,

Streithelferin,

 

erlässt

 

DAS GERICHT (Achte Kammer)

 

unter Mitwirkung des Präsidenten A. Kornezov sowie der Richter G. De Baere und K. Kecsmár (Berichterstatter),

 

Kanzler: V. Di Bucci,

 

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

 

aufgrund des Umstands, dass keine der Parteien innerhalb von drei Wochen nach Bekanntgabe des Abschlusses des schriftlichen Verfahrens die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und des darauf gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts ergangenen Beschlusses, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden,

 

folgendes

 

Urteil

 

1       Mit seiner Klage nach Art. 263 AEUV beantragt der Kläger, Herr Christoph Klein, die Nichtigerklärung des Durchführungsbeschlusses C(2023) 2961 final der Kommission vom 28. April 2023 über eine Maßnahme zum Verbot des Inverkehrbringens des Medizinprodukts „Inhaler Broncho-Air®“, hergestellt von der Primed Halberstadt Medizintechnik GmbH im Namen der Broncho-Air Medizintechnik AG (im Folgenden: angefochtener Beschluss).

 

Vorgeschichte des Rechtsstreits

 

2       Der Kläger ist Vorstand der atmed AG, einer mittlerweile insolventen Aktiengesellschaft deutschen Rechts. Er ist zudem der Erfinder einer Inhalierhilfe für Asthmatiker, die er sich zu Beginn der 1990er Jahre patentieren ließ.

 

 Untersagungsbescheid in Bezug auf das Produkt „Inhaler“

 

3       Zwischen den Jahren 1996 bis 2001 wurde die Inhalierhilfe des Klägers von der Primed Halberstadt GmbH im Lohnauftrag von Broncho-Air Medizintechnik unter dem Namen „Inhaler Broncho-Air®“ (im Folgenden: Produkt „Inhaler“) hergestellt. Der Vertrieb des Produkts „Inhaler“ erfolgte ebenfalls durch die Broncho-Air Medizintechnik. Beim Inverkehrbringen auf dem deutschen Markt trug dieses Produkt die CE‑Kennzeichnung zum Ausweis seiner Übereinstimmung mit den grundlegenden Anforderungen der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (ABl. 1993, L 169, S. 1).

 

4        Im Jahr 1996 übermittelten die deutschen Behörden Broncho-Air Medizintechnik einen Entscheidungsentwurf für ein Vertriebsverbot des Produkts „Inhaler“. Darin führten sie aus, dass wegen des Fehlens einer umfassenden klinischen Bewertung Bedenken bestünden, ob das Produkt die grundlegenden Anforderungen der Richtlinie 93/42 erfülle. Die deutschen Behörden brachten des Weiteren ihre Absicht zum Ausdruck, eine Rückrufaktion der bereits in den Verkehr gebrachten Exemplare des Produkts durchzuführen.

 

5        Mit Schreiben vom 22. Mai 1997 setzte die Broncho-Air Medizintechnik die deutschen Behörden davon in Kenntnis, dass das Produkt „Inhaler“ seit dem 1. Januar 1997 nicht mehr in den Verkehr gebracht worden sei und sein Vertrieb ausgesetzt worden sei, bis weitere Studien und Versuche zu seiner Übereinstimmung mit der Richtlinie 93/42 vorlägen. Außerdem teilte sie den deutschen Behörden mit, dass das betroffene Produkt nicht im Ausland vertrieben worden sei.

 

6        Am 23. September 1997 erließen die deutschen Behörden einen Bescheid, mit dem sie Primed Halberstadt Medizintechnik das Inverkehrbringen des Produkts „Inhaler“ untersagten (im Folgenden: Schutzmaßnahme vom 23. September 1997). Darin führten sie im Wesentlichen aus, dass das Produkt ‚Inhaler‘ nach der Stellungnahme des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (Deutschland) nicht die grundlegenden Anforderungen von Anhang I der Richtlinie 93/42 erfülle, da nach den vom Hersteller bereitgestellten Angaben seine Unbedenklichkeit nicht ausreichend wissenschaftlich gesichert sei. Dieser Untersagungsbescheid war Gegenstand eines Widerspruchsverfahrens nach der Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. Januar 1960 (BGBl. 1960 I S. 17).

 

7        Am 7. Januar 1998 übermittelten die deutschen Behörden der Kommission der Europäischen Gemeinschaften ein Schreiben mit dem Betreff „Schutzklauselverfahren nach Artikel 8 der Richtlinie 93/42 zu [dem Produkt ‚Inhaler‘]“, mit dem sie die Kommission von der Schutzmaßnahme vom 23. September 1997 sowie den Gründen für eine solche Entscheidung in Kenntnis setzten (im Folgenden: Mitteilung vom 7. Januar 1998).

 

 Untersagungsbescheid in Bezug auf das Produkt „Effecto“

 

8        Am 16. Juni 2000 wurden die ausschließlichen Verwertungsrechte am Medizinprodukt des Klägers an atmed abgetreten. Nach dieser Abtretung wurde das Produkt ab dem Jahr 2002 unter dem Namen „Effecto®“ (im Folgenden: Produkt „Effecto“) exklusiv von atmed vertrieben. Im Jahr 2003 übernahm atmed auch die Herstellung des Produkts. Dieses Produkt trug bei seinem Inverkehrbringen auf dem deutschen Markt die CE‑Kennzeichnung zum Ausweis seiner Übereinstimmung mit den grundlegenden Anforderungen der Richtlinie 93/42.

 

9        Am 18. Mai 2005 untersagten die deutschen Behörden atmed das Inverkehrbringen des Produkts „Effecto“ (im Folgenden: Untersagungsbescheid vom 18. Mai 2005). Sie vertraten im Wesentlichen die Auffassung, dass das Konformitätsbewertungsverfahren, insbesondere die klinische Bewertung, nicht in geeigneter Weise durchgeführt worden sei, so dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass das Produkt die grundlegenden Anforderungen der Richtlinie 93/42 erfülle. Eine Mitteilung dieser Entscheidung der deutschen Behörden an die Kommission nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 93/42 erfolgte nicht.

 

10      Am 16. Januar und am 17. August 2006 nahm atmed Kontakt zu den Dienststellen der Kommission auf und rügte, dass die deutschen Behörden die Kommission nicht über den Untersagungsbescheid vom 18. Mai 2005 informiert hätten. Nach Auffassung von atmed hätte ein Schutzklauselverfahren nach Art. 8 der Richtlinie 93/42 eingeleitet werden müssen.

 

11      Angesichts der von atmed erhaltenen Informationen bat die Kommission die deutschen Behörden am 6. Oktober 2006 um Mitteilung, ob sie in Bezug auf das Produkt „Effecto“ die Voraussetzungen für ein Schutzklauselverfahren nach Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 93/42 als erfüllt ansähen.

 

12      Am 12. Dezember 2006 teilte die Bundesrepublik Deutschland der Kommission mit, dass ihrer Ansicht nach das mit Übermittlung des Schreibens vom 7. Januar 1998 in Bezug auf das Produkt „Inhaler“ eingeleitete Verfahren ein Schutzklauselverfahren im Sinne der genannten Vorschrift darstelle und dass ein neues Verfahren in Bezug auf das gleiche Produkt unter anderem Namen nicht gerechtfertigt sei. Ferner teilten die deutschen Behörden der Kommission mit, dass sie die Übereinstimmung des Produkts „Effecto“ mit den grundlegenden Anforderungen der Richtlinie 93/42 nach wie vor für zweifelhaft hielten, und baten diese deshalb um Bestätigung des Untersagungsbescheids vom 18. Mai 2005. Am 13. Dezember 2006 unterrichtete die Kommission atmed über die Antwort der deutschen Behörden.

 

13      Am 18. Dezember 2006 forderte atmed die Kommission zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 AEUV gegen die Bundesrepublik Deutschland sowie zur Fortsetzung des ihrer Ansicht nach im Jahr 1998 eingeleiteten Schutzklauselverfahrens auf.

 

14      Am 27. Januar 2007 unterzeichneten der Kläger und Broncho-Air Medizintechnik eine Vereinbarung, nach der Broncho-Air Medizintechnik dem Kläger ihre Rechte an dem Produkt „Inhaler“ abtritt.

 

15      Am 22. Februar 2007 schlug die Kommission den deutschen Behörden vor, den Untersagungsbescheid vom 18. Mai 2005 im Kontext des Schutzklauselverfahrens vom 7. Januar 1998 zu bewerten und auf der Grundlage der neuen Informationen zu bearbeiten. Dadurch könne eine erneute Mitteilung vermieden und eine größere Effizienz sichergestellt werden.

 

16      Am 18. Juli 2007 teilte die Kommission den deutschen Behörden mit, sie sei zu dem Schluss gelangt, dass es bei dem Sachverhalt, mit dem diese sie befasst hätten, in Wirklichkeit um einen Fall der unrechtmäßigen Anbringung der CE‑Kennzeichnung gehe, der deshalb im Licht der Richtlinie 93/42 zu behandeln sei. Dabei bezweifelte die Kommission, dass das Produkt „Effecto“ außerstande sein sollte, die grundlegenden Anforderungen der Richtlinie zu erfüllen. Vielmehr hielt sie für den Nachweis, dass es diesen Anforderungen entspreche, weitere klinische Daten für erforderlich und forderte die deutschen Behörden auf, eng mit atmed zusammenzuarbeiten, um zu ermitteln, welche Daten fehlten. Zu diesem Zweck übermittelte die Kommission dem Kläger eine Kopie des Schreibens an die deutschen Behörden.

 

17      Im Jahr 2008 richtete der Kläger wegen der unzureichenden Weiterverfolgung seiner Angelegenheit durch die Kommission eine Petition an das Europäische Parlament. Am 19. Januar 2011 nahm das Parlament die Entschließung P7_TA (2011) 0017 an, mit der es die Kommission aufforderte, unverzüglich die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um das immer noch anhängige Verfahren, das 1997 auf der Grundlage der Schutzklausel nach Art. 8 der Richtlinie 93/42 eingeleitet wurde, abzuschließen sowie auf die berechtigten Anliegen des Petenten einzugehen und die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, damit er seine Rechte geltend machen kann.

 

18      Am 9. März 2011 forderte der Kläger die Kommission auf, Schadensersatz in Höhe von 170 Mio. Euro an atmed und in Höhe von 130 Mio. Euro an ihn selbst zu zahlen. Die Kommission wies die Schadensersatzforderung des Klägers am 11. März 2011 zurück.

 

 Frühere Verfahren vor dem Gericht und dem Gerichtshof

 

19      Mit Klageschrift, die am 15. September 2011 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob der Kläger eine auf Art. 268 in Verbindung mit Art. 340 Abs. 2 AEUV gestützte Klage auf Schadensersatz.

 

20      Mit Urteil vom 21. Januar 2014, Klein/Kommission (T‑309/10, EU:T:2014:19), wies das Gericht diese Klage im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass sich die Kommission weder in Bezug auf das Verbot des Produkts „Inhaler“ noch in Bezug auf das Verbot des Produkts „Effecto“ im Hinblick auf die Richtlinie 93/42 rechtswidrig verhalten habe.

 

21      Mit Urteil vom 22. April 2015, Klein/Kommission (C‑120/14 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:252), hob der Gerichtshof das Urteil des Gerichts vom 21. Januar 2014, Klein/Kommission (T‑309/10, EU:T:2014:19), teilweise auf und verwies die Rechtssache an das Gericht zurück. Zum einen führte der Gerichtshof zum Verbot des Inverkehrbringens des Produkts „Inhaler“ u. a. in den Rn. 66 und 79 seines Urteils aus, das Gericht habe rechtsfehlerhaft entschieden, dass die Kommission nicht verpflichtet gewesen sei, im Anschluss an den Eingang des Schreibens vom 7. Januar 1998 eine Entscheidung gemäß Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 93/42 zu treffen. Zum anderen wies der Gerichtshof den das Verbot des Produkts „Effecto“ betreffenden Rechtsmittelgrund, der auf die Feststellung von Fehlern des Gerichts in diesem Teil des Urteils gerichtet war, als unzulässig zurück.

 

22      Im Rahmen der Zurückverweisung prüfte das Gericht im Urteil vom 28. September 2016, Klein/Kommission (T‑309/10 RENV, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:570), bestimmte weitere nach ständiger Rechtsprechung erforderliche Voraussetzungen einer außervertraglichen Haftung der Europäischen Union und wies die Klage des Klägers erneut ab.

 

23      Zunächst wies das Gericht den Antrag des Klägers auf Schadensersatz wegen Untätigkeit der Kommission in Bezug auf das Produkt „Effecto“ als unzulässig zurück. Insoweit stützte sich das Gericht auf die Bindungswirkung, die die Feststellung, dass der Kommission in Bezug auf dieses Produkt keine Untätigkeit vorgeworfen werden könne, durch das Urteil vom 22. April 2015, Klein/Kommission (C‑120/14 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:252), erfahren habe. Sodann stellte das Gericht fest, dass der Verstoß gegen das Unionsrecht, den die Kommission nach Auffassung des Gerichtshofs im Zusammenhang mit dem Verbot des Inverkehrbringens des Produkts „Inhaler“ begangen habe, als hinreichend qualifiziert zu betrachten sei. Was ferner die Frage anbelangt, ob Art. 8 der Richtlinie 93/42 eine Vorschrift ist, die dem Kläger Rechte verleiht, wie es die ständige Rechtsprechung verlangt, vertrat das Gericht die Auffassung, dass der Kläger nur die von Broncho-Air Medizintechnik in der Vereinbarung vom 27. Januar 2007 abgetretenen Schadensersatzansprüche geltend machen könne, aber weder eigene Schadensersatzansprüche noch solche von atmed, da diese nicht unter die Schutznorm von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 93/42 fielen. Schließlich führte das Gericht zum Kausalzusammenhang aus, selbst wenn das Vorliegen aller vom Kläger angegebenen Schäden erwiesen wäre, könnte jedenfalls kein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen diesen Schäden und dem rechtswidrigen Verhalten der Kommission hergestellt werden.

 

24      Auf das Rechtsmittel des Klägers hob der Gerichtshof mit Urteil vom 6. September 2018, Klein/Kommission (C‑346/17 P, EU:C:2018:679), das Urteil vom 28. September 2016, Klein/Kommission (T‑309/10 RENV, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:570), teilweise auf, soweit das Gericht die Klage abgewiesen hatte, weil der Kläger das Vorliegen eines unmittelbaren und hinreichenden Kausalzusammenhangs, der die Haftung der Union auslösen könnte, nicht nachgewiesen habe. Dagegen wies der Gerichtshof die Klagegründe zurück, mit denen der Kläger die übrigen Feststellungen des Gerichts angefochten hatte, insbesondere zum einen die Feststellung, wonach das Fehlen eines rechtswidrigen Verhaltens der Kommission in Bezug auf das Produkt „Effecto“ rechtskräftig festgestellt worden sei, und zum anderen die Feststellung, wonach der Kläger keine eigenen Schadensersatzansprüche geltend machen könne, da er nicht unter die Schutznorm von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 93/42 falle. Schließlich entschied der Gerichtshof gemäß Art. 61 Abs. 1 Satz 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union den Rechtsstreit endgültig und wies die Klage ab. Insoweit stellte er im Wesentlichen fest, dass der Kläger seiner Pflicht, schlüssige Beweise für den Umfang des geltend gemachten Schadens zu erbringen, nicht nachgekommen sei.

 

 Vorgehen des Klägers nach dem Urteil vom 6. September 2018, Klein/Kommission (C‑346/17 P)

 

25      Am 28. September 2018 sandte der Kläger ein Schreiben an die Kommission, in dem er auf das Urteil vom 6. September 2018, Klein/Kommission (C‑346/17 P, EU:C:2018:679), Bezug nahm. In diesem Schreiben forderte er die Kommission auf, zum einen unverzüglich eine Entscheidung nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 93/42 in Bezug auf das Verbot des Inverkehrbringens des Produkts „Inhaler“ zu treffen und zum anderen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland einzuleiten, weil diese kein Schutzklauselverfahren nach Art. 8 Abs. 1 dieser Richtlinie in Bezug auf das Verbot des Inverkehrbringens des Produkts „Effecto“ eingeleitet habe.

 

26      Am 21. November und am 18. Dezember 2018 antwortete die Kommission dem Kläger mit zwei Schreiben. Im ersten Schreiben teilte sie ihm in Bezug auf seinen ersten Antrag mit, dass dieser derzeit geprüft werde und dass er darüber informiert werde, wenn sie die Prüfung des am 7. Januar 1998 von den deutschen Behörden eingeleiteten Schutzklauselverfahrens wieder aufnehme und zu diesem Zweck gemäß Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 93/42 Konsultationen mit den Betroffenen aufnehme. In Bezug auf seinen zweiten Antrag teilte die Kommission dem Kläger mit, dass keine Maßnahmen gegen die Bundesrepublik Deutschland ergriffen würden. Im zweiten Schreiben übermittelte die Kommission dem Kläger einen detaillierten Fragenkatalog, der sowohl tatsächliche als auch rechtliche Aspekte des Verbots des Inverkehrbringens des Produkts „Inhaler“ und des von den deutschen Behörden eingeleiteten Schutzklauselverfahrens betraf. Der Kläger beantwortete diesen Fragenkatalog der Kommission am 14. Januar 2019.

 

27      Am 6. Februar 2019 wandte sich der Kläger an die Kommission und bat um ein persönliches Treffen mit dem für den Binnenmarkt zuständigen Kommissionsmitglied sowie mit dem Generalsekretär der Kommission. Die Kommission lehnte dieses Ersuchen am 21. Februar 2019 ab.

 

28      Am 4. April 2019 richtete der Kläger ein weiteres Schreiben an den Generalsekretär der Kommission, in dem er ihn im Wesentlichen aufforderte, ihm mitzuteilen, ob eine Entscheidung nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 93/42 für das Produkt „Inhaler“ getroffen werde. In diesem Schreiben erklärte er auch, dass er bei Ausbleiben einer Antwort der Kommission bis zum 12. April 2019 eine Klage vor dem Gericht erheben werde.

 

29      Am 29. April 2019 wandte sich der Kläger per E‑Mail an den Präsidenten der Kommission, mit Kopie an den Generalsekretär des Rates der Europäischen Union und den Präsidenten des Parlaments. In dieser E‑Mail forderte er den Präsidenten der Kommission auf, gegen das ablehnende Verhalten des zuständigen Mitglieds der Kommission in Bezug auf das Produkt „Inhaler“ vorzugehen, um die anhaltenden Verstöße gegen das Unionsrecht abzustellen. Am 13. Mai 2019 wandte sich der Kläger zum letzten Mal an den Präsidenten der Kommission, diesmal mit der Forderung nach Schadensersatz aufgrund der fehlenden Entscheidung über das Produkt „Inhaler“.

 

30      Am 26. Juli 2019 richtete die Kommission ein Schreiben an den Kläger, in dem sie im Wesentlichen den Inhalt ihres Schreibens vom 21. November 2018 wiederholte.

 

Beschluss vom 2. Juli 2020, Klein/Kommission (T‑562/19), Urteil vom 12. Mai 2022, Klein/Kommission (C‑430/20 P), Beschluss vom 25. April 2023, Klein/Kommission (T‑562/19 RENV), und angefochtener Beschluss

 

31      Mit Klageschrift, die am 14. August 2019 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob der Kläger Klage nach Art. 265 AEUV auf Feststellung, dass die Kommission es rechtswidrig unterlassen habe, im Rahmen des am 7. Januar 1998 von der Bundesrepublik Deutschland eingeleiteten Schutzklauselverfahrens tätig zu werden und eine Entscheidung gemäß der Richtlinie 93/42 in Bezug auf das Produkt „Inhaler“ zu erlassen.

 

32      Mit gesondertem Schriftsatz, der am 24. Oktober 2019 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob die Kommission eine Einrede der Unzulässigkeit gemäß Art. 130 der Verfahrensordnung des Gerichts, die sie erstens auf die teilweise fehlende Klagebefugnis des Klägers, zweitens die Unangemessenheit des Zeitraums, innerhalb dessen der Kläger sie zum Tätigwerden aufgefordert habe, und drittens die verspätete Erhebung der Klage im ersten Rechtszug stützte.

 

33      Mit Beschluss vom 2. Juli 2020, Klein/Kommission (T‑562/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:300), entschied das Gericht, dass die Klage als unzulässig abzuweisen sei.

 

34      Im Anschluss an das Rechtsmittel des Klägers hob der Gerichtshof mit Urteil vom 12. Mai 2022, Klein/Kommission (C‑430/20 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2022:377), den Beschluss des Gerichts vom 2. Juli 2020, Klein/Kommission (T‑562/19, EU:T:2020:300), auf und verwies die Rechtssache an das Gericht zurück.

 

35      Der Gerichtshof hat im Wesentlichen entschieden, dass das Gericht einen Rechtsfehler begangen habe, als es in Rn. 69 des Beschlusses vom 2. Juli 2020, Klein/Kommission (T‑562/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:300), entschieden habe, die Kommission habe zutreffend geltend gemacht, dass die Frist für die Erhebung der Klage nach Art. 265 AEUV – im Anschluss an die vom Kläger mit Schreiben vom 28. September 2018 erhaltene Aufforderung zum Tätigwerden – am 13. Februar 2019 abgelaufen sei.

 

36      Nach der Zurückverweisung der Rechtssache an das Gericht stellte dieses mit Beschluss vom 25. April 2023, Klein/Kommission (T‑562/19 RENV, nicht veröffentlicht, EU:T:2023:225), fest, dass die Untätigkeitsklage offensichtlich begründet ist.

 

37      Am 28. April 2023 erließ die Kommission nach Art. 96 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinprodukte, zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 und zur Aufhebung der Richtlinien 90/385/EWG und 93/42 des Rates (ABl. 2017, L 117, S. 1) den angefochtenen Beschluss, in dem sie die von Deutschland am 7. Januar 1998 mitgeteilte Schutzmaßnahme vom 23. September 1997, mit der das Inverkehrbringen des Produkts „Inhaler“ verboten wurde, für gerechtfertigt erklärte.

 

38      Im angefochtenen Beschluss stellte die Kommission fest, dass die Richtlinie 93/42 am 26. Mai 2021 durch Art. 122 der Verordnung 2017/745 mit Ausnahme einiger ihrer Bestimmungen, die bis zu einem späteren Zeitpunkt weiterhin gälten, aufgehoben worden sei. Art. 8 der Richtlinie 93/42 gehöre nicht zu den weiterhin geltenden Bestimmungen und sei daher mit Wirkung vom 26. Mai 2021 aufgehoben. Der Kommission zufolge gelten gemäß Art. 122 letzter Absatz der Verordnung 2017/745 Bezugnahmen auf die aufgehobene Richtlinie als Bezugnahmen auf die Verordnung, weshalb sie nach der Entsprechungstabelle in Anhang XVII dieser Verordnung zu lesen seien. Gemäß Anhang XVII der Verordnung 2017/745 entspreche Art. 8 der Richtlinie 93/42 den Art. 94 bis 97 dieser Verordnung. Nach Auffassung der Kommission war daher ein Beschluss auf der Grundlage von Art. 96 Abs. 1 der Verordnung 2017/745 zu erlassen.

 

 Anträge der Parteien

 

39      Der Kläger beantragt,

 

–        den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;

 

–        der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.

 

40      Die Kommission beantragt,

 

–        die Klage abzuweisen;

 

–        dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

 

41      Die Bundesrepublik Deutschland beantragt, die Klage abzuweisen.

 

Rechtliche Würdigung

 

42      Der Kläger stützt seine Klage auf drei Klagegründe, mit denen er erstens eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften, zweitens eine Verletzung der anwendbaren Rechtsvorschriften und drittens einen Ermessensmissbrauch durch den Erlass des angefochtenen Beschlusses rügt.

 

43      Das Gericht hält es für zweckmäßig, zunächst den ersten Teil des ersten Klagegrundes zu prüfen, mit dem im Wesentlichen ein Verstoß gegen Art. 95 Abs. 4 und Art. 96 Abs. 1 der Verordnung 2017/745 gerügt wird.

 

44      Der Kläger macht geltend, dass unter Verstoß gegen Art. 8 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 93/42 bzw. gegen Art. 95 Abs. 4 der Verordnung 2017/745 im Rahmen des Schutzklauselverfahrens keine Notifizierung an die Mitgliedstaaten erfolgt sei. Dieses Versäumnis sei dem Kläger durch die österreichischen Behörden schriftlich bestätigt worden. Ferner habe kein weiterer Mitgliedstaat je eine Notifizierung erhalten oder sei innerhalb der letzten 25 Jahre über den Verlauf des Verfahrens unterrichtet worden. Damit sei diesen Mitgliedstaaten die Möglichkeit genommen worden, von ihrem Vetorecht gemäß Art. 96 Abs. 1 der Verordnung 2017/745 Gebrauch zu machen, mit dem sie ihre jeweiligen Einschätzungen zum Produkt des Klägers hätten vorbringen können, obwohl diese Entscheidungen die Entscheidung der Kommission hätten beeinflussen können.

 

45      Die Kommission beantragt, den ersten Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen, und weist darauf hin, dass sie den angefochtenen Beschluss auf der Grundlage von Art. 96 Abs. 1 der Verordnung 2017/745 erlassen habe und dass die Mitgliedstaaten zum Entwurf des Beschlusses hätten Stellung nehmen können, aber kein Mitgliedstaat Einwände gegen die Schutzmaßnahme vom 23. September 1997 erhoben habe.

 

46      Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland der Kommission gemäß Art. 8 der Richtlinie 93/42 am 7. Januar 1998 lediglich das die Schutzmaßnahme betreffende Schreiben vom 23. September 1997 übermittelte.

 

47      Da der angefochtene Beschluss, obwohl er sich auf diese Schutzmaßnahme bezog, auf der Grundlage von Art. 96 Abs. 1 der Verordnung 2017/745 erlassen wurde, mit der zwischenzeitlich die Richtlinie 93/42 aufgehoben und ersetzt wurde, ist zu prüfen, ob die Kommission beim Erlass dieses Beschlusses die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung beachtet hat.

 

48      Insoweit ist auf die ständige Rechtsprechung hinzuweisen, wonach bei Verfahrensvorschriften im Allgemeinen davon auszugehen ist, dass sie ab dem Datum ihres Inkrafttretens Anwendung finden (Urteil vom 22. Juni 2022, Volvo und DAF Trucks, C‑267/20, EU:C:2022:494, Rn. 31; vgl. auch Urteil vom 21. September 2017, Ferriera Valsabbia u. a./Kommission, C‑86/15 P und C‑87/15 P, EU:C:2017:717, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung), und zwar selbst in einem Verfahren, das vor diesem Zeitpunkt eingeleitet wurde, aber über ihn hinaus andauert (vgl. Urteil vom 21. September 2017, Feralpi/Kommission, C‑85/15 P, EU:C:2017:709, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

49      In Anbetracht dieser Rechtsprechung ist festzustellen, dass das Verfahren, das zum Erlass des angefochtenen Beschlusses führte, zwar auf eine Mitteilung zurückgeht, die zu dem Zeitpunkt erfolgte, als die Richtlinie 93/42 noch in Kraft war, es aber im Einklang mit den Bestimmungen der Verordnung 2017/745, die die Rechtsgrundlage des angefochtenen Beschlusses bilden, durchgeführt werden musste (vgl. entsprechend Urteil vom 21. September 2017, Feralpi/Kommission, C‑85/15 P, EU:C:2017:709, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

50      Insoweit geht als Erstes in Bezug auf das Verfahren nach der Verordnung 2017/745 aus deren Art. 95 („Verfahren für den Umgang mit Produkten, die ein unvertretbares Gesundheits- und Sicherheitsrisiko darstellen“) Abs. 1 und 4 hervor, dass zum einen, wenn „die zuständigen Behörden nach Durchführung der Bewertung gemäß Artikel 94 [dieser Verordnung] zu dem Schluss [kommen], dass das Produkt ein unvertretbares Risiko für die Gesundheit oder Sicherheit der Patienten, Anwender oder anderer Personen oder in Bezug auf andere Aspekte des Schutzes der öffentlichen Gesundheit darstellt, … sie den Hersteller der betroffenen Produkte, seinen Bevollmächtigten und alle anderen entsprechenden Wirtschaftsakteure unverzüglich [auffordern], innerhalb eines eindeutig festgelegten und dem betroffenen Wirtschaftsakteur mitgeteilten Zeitraums alle geeigneten und gebührend gerechtfertigten Korrekturmaßnahmen zu ergreifen, um die Konformität des Produkts mit den Anforderungen [der] Verordnung … herzustellen“. Zum anderen müssen die zuständigen nationalen Behörden, wenn der Hersteller, sein Bevollmächtigter und alle anderen entsprechenden Wirtschaftsakteure innerhalb einer eindeutig festgelegten angemessenen Frist keine angemessenen Korrekturmaßnahmen ergriffen haben, der Kommission und den Mitgliedstaaten alle Maßnahmen mitteilen, die geeignet sind, um die Bereitstellung des Produkts auf ihrem nationalen Markt zu untersagen oder einzuschränken, das Produkt vom Markt zu nehmen oder zurückzurufen.

 

51      Ferner sieht Art. 95 Abs. 5 der Verordnung 2017/745 vor, dass aus der Mitteilung gemäß Art. 95 Abs. 4 dieser Verordnung alle verfügbaren Angaben hervorgehen, insbesondere die Daten für die Identifizierung und Nachverfolgung des nicht konformen Produkts, die Herkunft des Produkts, die Art und die Ursachen der behaupteten Nichtkonformität und des Risikos sowie die Art und Dauer der nationalen Maßnahmen und die Argumente des betreffenden Wirtschaftsakteurs.

 

52      Im Übrigen geht aus Art. 96 Abs. 1 der Verordnung 2017/745 hervor, dass die Kommission beschließen kann, Durchführungsrechtsakte zu erlassen, wenn „innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der in Artikel 95 Absatz 4 [dieser Verordnung] genannten Mitteilung ein Mitgliedstaat Einwände gegen eine von einem anderen Mitgliedstaat getroffene Maßnahme [erhebt] oder [sie] der Auffassung ist, dass diese nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist“. Zudem sieht diese Bestimmung vor, dass „[d]iese Durchführungsrechtsakte … gemäß dem in Artikel 114 Absatz 3 genannten Prüfverfahren erlassen [werden]“.

 

53      Folglich ermächtigt Art. 96 Abs. 1 der Verordnung 2017/745, der die Rechtsgrundlage des angefochtenen Beschlusses darstellt, die Kommission nur dann zum Erlass von Durchführungsrechtsakten, wenn ein Mitgliedstaat nach der Mitteilung auf der Grundlage von Art. 95 Abs. 4 dieser Verordnung Einwände gegen eine von einem anderen Mitgliedstaat getroffene Maßnahme erhebt oder wenn dieses Organ der Auffassung ist, dass diese nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist.

 

54      Da im vorliegenden Fall jedoch keine dieser beiden Voraussetzungen erfüllt war, war die Kommission nicht befugt, einen Durchführungsrechtsakt nach Art. 96 Abs. 1 der Verordnung 2017/745 zu erlassen.

 

55      Nach der Rechtsprechung ist festzustellen, dass die Nichtbeachtung der Verfahrensvorschriften über den Erlass einer beschwerenden Maßnahme eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften darstellt und es dem Unionsgericht obliegt, wenn es bei der Untersuchung des betreffenden Rechtsakts zum Ergebnis kommt, dass dieser nicht ordnungsgemäß erlassen wurde, die Konsequenzen aus der Verletzung einer wesentlichen Formvorschrift zu ziehen und folglich den mit einem solchen Fehler behafteten Rechtsakt für nichtig zu erklären (vgl. Urteil vom 30. Mai 2024, Vialto Consulting/Kommission, C‑130/23 P, EU:C:2024:439, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 

56      In Anbetracht dieser Rechtsprechung ist der Verstoß der Kommission gegen die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung im Rahmen des Erlasses des angefochtenen Beschlusses auf der Grundlage von Art. 96 Abs. 1 der Verordnung 2017/745 als eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften anzusehen.

 

57      Als Zweites ist festzustellen, dass die oben in Rn. 56 gezogene Schlussfolgerung durch das Vorbringen der Kommission nicht in Frage gestellt wird. Diese macht geltend, dass zwar die Voraussetzung von Art. 95 Abs. 4 der Verordnung 2017/745 nicht erfüllt worden sei, sich die Mitgliedstaaten aber dennoch zu dem Entwurf des Durchführungsrechtsakts, der ihnen nach dem in Art. 114 Abs. 3 dieser Verordnung vorgesehenen Prüfverfahren übermittelt worden sei, hätten äußern können. Somit habe sich die Nichtbeachtung von Art. 96 Abs. 1 der Verordnung 2017/745 im vorliegenden Fall jedenfalls nicht auf den Ausgang des Entscheidungsprozesses ausgewirkt, da die Mitgliedstaaten dem Entwurf des angefochtenen Beschlusses einstimmig zugestimmt hätten.

 

58      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es im 21. Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses heißt, dass er im Einklang mit der Stellungnahme des Ausschusses für Medizinprodukte (im Folgenden: Ausschuss) stehe, der die Kommission gemäß Art. 114 Abs. 1 der Verordnung 2017/745 unterstützt. Dieser Ausschuss setzt sich gemäß Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren (ABl. 2011, L 55, S. 13), aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammen.

 

59      Findet Art. 114 Abs. 3 der Verordnung 2017/745, wie im vorliegenden Fall, Anwendung, so sieht diese Bestimmung vor, dass der betreffende Durchführungsrechtsakt dem Prüfverfahren nach Art. 5 der Verordnung Nr. 182/2011 unterliegt. Art. 5 Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt u. a., dass der Ausschuss, wenn das Prüfverfahren Anwendung findet, eine Stellungnahme abgibt, und Art. 5 Abs. 2 der Verordnung, dass, wenn „der Ausschuss eine befürwortende Stellungnahme [abgibt] … die Kommission den im Entwurf vorgesehenen Durchführungsrechtsakt [erlässt]“.

 

60      Im vorliegenden Fall geht aus den Schriftsätzen der Kommission hervor, dass der Entwurf des angefochtenen Beschlusses dem Ausschuss am 18. April 2023 im schriftlichen Verfahren nach Art. 3 Abs. 5 der Verordnung Nr. 182/2011 übermittelt wurde. Für die Zwecke dieses Verfahrens setzte der Vorsitz des Ausschusses, der die Kommission vertritt, angesichts der Dringlichkeit, die durch das vom Kläger gegen die Kommission eingeleitete Verfahren der Untätigkeitsklage gerechtfertigt war, eine Abstimmungsfrist von sieben Arbeitstagen fest. Am 25. April 2023 gab der Ausschuss einstimmig eine befürwortende Stellungnahme zu dem Entwurf des angefochtenen Beschlusses ab.

 

61      Somit trifft es zwar zu, dass, wie die Kommission ausführt, keiner der Mitgliedstaaten gegen den Entwurf des angefochtenen Beschlusses gestimmt hat, als diese hierzu im Rahmen des Ausschusses nach Art. 5 der Verordnung Nr. 182/2011 konsultiert wurden, jedoch gibt dies keine Gewähr dafür, dass im Rahmen des Verfahrens nach Art. 96 Abs. 1 der Verordnung 2017/745 keine Einwände von einem oder mehreren Mitgliedstaaten gegen die von einem anderen Mitgliedstaat getroffene Maßnahme erhoben worden wären.

 

62      Zum einen betrifft dieses Verfahren nämlich die Maßnahme, die ein Mitgliedstaat ergreift, um das Inverkehrbringen eines Produkts auf seinem nationalen Markt zu verbieten oder zu beschränken, um es zurückzuziehen oder es zurückzurufen, und ermöglicht es einem anderen Mitgliedstaat, Einwände im Wesentlichen gegen seine Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht zu erheben. Zum anderen betrifft die Stellungnahme der Vertreter der Mitgliedstaaten im Rahmen des Verfahrens vor dem Ausschuss einen von der Kommission vorgelegten Entwurf eines Durchführungsrechtsakts zu der Frage, ob diese Maßnahme gerechtfertigt ist oder nicht. Daher unterscheiden sich das Bewertungsverfahren im Sinne von Art. 96 Abs. 1 der Verordnung 2017/745 und das Ausschussverfahren nach Art. 5 der Verordnung Nr. 182/2011 sowohl in ihrem Gegenstand als auch in ihrem Umfang.

 

63      Einerseits kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass die Abstimmung eines oder mehrerer Mitgliedstaaten über den Entwurf des angefochtenen Beschlusses anders ausgefallen wäre, wenn in diesem Bewertungsverfahren Einwände eines anderen Mitgliedstaats erhoben worden wären. Denn den Mitgliedstaaten hätten in einer solchen Situation, um die Bedeutung ihres Abstimmungsverhaltens in voller Kenntnis der Sachlage zu ermessen, die unterschiedlichen Standpunkte und einschlägigen Argumente der Mitgliedstaaten, die in einem früheren Verfahrensstadium Einwände erhoben hatten, zur Verfügung gestanden.

 

64      Andererseits kann ebenso wenig ausgeschlossen werden, dass der von der Kommission dem Ausschuss vorgelegte Entwurf des angefochtenen Beschlusses einen anderen Inhalt gehabt hätte, wenn ein oder mehrere Mitgliedstaaten im Bewertungsverfahren nach Art. 96 Abs. 1 der Verordnung 2017/745 Einwände erhoben hätten, falls dieses Verfahren durchgeführt worden wäre.

 

65      Daher ist das Vorbringen der Kommission zurückzuweisen, wonach sich die Nichteinhaltung von Art. 96 Abs. 1 der Verordnung 2017/745 im vorliegenden Fall nicht auf den Ausgang des Entscheidungsprozesses ausgewirkt habe.

 

66      Jedenfalls ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass, wenn einer Verfahrensmodalität in dem betreffenden Verfahren hervorgehobene Bedeutung zukommt, die bloße Verletzung dieser Modalität ausreicht, um die angefochtene Handlung für nichtig zu erklären (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. September 2017, Feralpi/Kommission, C‑85/15 P, EU:C:2017:709, Rn. 45, 47 und 48 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

 

67      Im vorliegenden Fall kommt den Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 96 Abs. 1 der Verordnung 2017/745 eine solche Bedeutung zu. Da nämlich kein Mitgliedstaat Einwände erhoben hat und die Kommission nicht der Auffassung war, dass die Schutzmaßnahme vom 23. September 1997 mit dem Unionsrecht unvereinbar war, hätte der in Art. 96 Abs. 1 der Verordnung 2017/745 vorgesehene Entscheidungsprozess nämlich nicht eingeleitet werden dürfen.

 

68      Daher ist das Verfahren im vorliegenden Fall notwendigerweise mit Mängeln behaftet, unabhängig vom Ausgang des Entscheidungsprozesses, der sich daraus hätte ergeben können.

 

69      Aus diesen Gründen ist dem ersten Teil des ersten Klagegrundes stattzugeben und die angefochtene Entscheidung insgesamt für nichtig zu erklären, ohne dass über den zweiten Teil des ersten Klagegrundes und die weiteren Klagegründe entschieden zu werden braucht.

 

Kosten

 

70      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission unterlegen ist, sind ihr entsprechend dem Antrag des Klägers ihre eigenen Kosten und die Kosten des Klägers aufzuerlegen.

 

71      Gemäß Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung trägt die Bundesrepublik Deutschland ihre eigenen Kosten.

 

Aus diesen Gründen hat

 

DAS GERICHT (Achte Kammer)

 

für Recht erkannt und entschieden:

 

1.      Der Durchführungsbeschlusses C(2023) 2961 final der Europäischen Kommission vom 28. April 2023 über eine Maßnahme zum Verbot des Inverkehrbringens des Medizinprodukts „Inhaler Broncho-Air®“, hergestellt von Primed Halberstadt Medizintechnik GmbH im Auftrag der Broncho-Air Medizintechnik AG, wird für nichtig erklärt.

2.      Die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten von Herrn Christoph Klein.

3.      Die Bundesrepublik Deutschland trägt ihre eigenen Kosten.

 

Kornezov                            De Baere                                Kecsmár

 

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 12. Februar 2025.

 

Der Kanzler                                                              Der Präsident
V. Di Bucci                                                               M. van der Woude