Datum: 17. Dezember 2021

Gericht: OLG Köln

Spruchkörper: 6. Zivilsenat

Entscheidungart: Urteil

Aktenzeichen: 6 U 91/21

ECLI: ECLI:DE:OLGK:2021:1217.6U91.21.00


Vorinstanz: Landgericht Köln, 33 O 60/20

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das am 25.05.2021 verkündete Urteil der 33. Zivilkammer des Landgerichts Köln – 33 O 60/20 – wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

3. Dieses Urteil und das genannte Urteil des Landgerichts Köln sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund der Urteile vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4.               Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

1  G r ü n d e :

 

I.

 

3  Die Parteien sind Mitbewerber auf dem Markt für Medizinprodukte zur Behandlung von Inkontinenz bei Frauen. Die Klägerin vertreibt in Deutschland unter der Bezeichnung „B. Pants“ Inkontinenzunterwäsche. Die Beklagte vertreibt in Deutschland unter der Bezeichnung „U. Lady Pants Plus“ ebenfalls Inkontinenzunterwäsche. Der Endverkaufspreis für das Produkt der Beklagten lag im Einzelhandel bei über 8,00 €.

 

4  Seit April 2018 versah die Beklagte die Verpackung ihres Produktes mit einem zusammengefalteten Aufkleber mit der Aufschrift „GRATIS TESTEN“ (vgl. Anlage K5). Nach Aufklappen dieses Aufklebers wurde eine Anleitung sichtbar, wie Käufer den Kaufpreis erstattet bekommen können. Hierzu musste das Produkt der Beklagten zunächst käuflich erworben und bezahlt werden. Anschließend konnte ein Foto von Kassenbon und Aktionspackung auf der Website der Beklagten (www.tena.de/gratis-testen) unter Angabe von Name, Anschrift und Bankverbindung des Käufers hochgeladen werden. Danach sollte der Kaufpreis innerhalb von 14 Tagen rückerstattet werden (vgl. Anlage K5). Ende Juni 2018 beendete die Beklagte diese „Gratisaktion“.

 

5  Auch die Klägerin bewarb ihr Produkt auf ihrer Website mit einer „Gratis Testen“-Aktion, in deren Rahmen der Kaufpreis für die Aktionspackung erstattet werden konnte.

 

6  Mit Schreiben vom 27.04.2018 mahnte die Klägerin die Beklagte unter Fristsetzung ab und forderte sie erfolglos zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf.

 

7  Unter dem 14.05.2018 beantragte die Klägerin vor dem Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung, die mit Beschluss vom 22.05.2018 (Anlage K9) erlassen und nach Widerspruch der Beklagten mit Urteil vom 24.07.2018 (Anlage K10) bestätigt wurde. Das OLG Hamburg hob mit Urteil vom 20.06.2019 (Anlage K11) die zuvor ergangenen Entscheidungen auf und wies den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück.

 

8  Die Klägerin hat gemeint, dass die Beklagte mit ihrer Gratis-Testen-Aktion gegen § 7 Abs. 1 HWG verstoße, weil sie Medizinprodukte kostenlos an Verbraucher abgebe. Dabei handele es sich nicht um einen zulässigen Preisnachlass in Form eines bestimmten Geldbetrages, weil der angesprochene Verkehr mit der Gratisabgabe des Produktes selbst gelockt werde.

 

9  Die Klägerin hat beantragt,

 

10-11  I. die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen das Medizinprodukt „U. Lady Pants Plus“ gegenüber Verbrauchern als Gratisabgabe anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren, wenn dies wie in Anlage K5 und/oder Anlage K6 und/oder Anlage K7 geschieht;

 

12-13  II. für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen eine der Verpflichtungen gemäß Ziff. I. der Beklagten ein Ordnungsgeld von bis zu Euro 250.000, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten anzudrohen;

 

14-15  III. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr allen Schaden zu ersetzen, welcher ihr durch die unter Ziff. I. bezeichneten Handlungen entstanden ist und/oder künftig noch entstehen wird.

 

16  Die Beklagte hat beantragt,

 

17              die Klage abzuweisen.

 

18  Hilfsweise widerklagend – für den Fall, dass die Klage Erfolg hat – hat die Beklagte zuletzt beantragt,

 

19-20  1. die Klägerin zu verurteilen, es zu unterlassen, im Rahmen geschäftlicher Handlungen

 

21-22  a. ihre Inkontinenz-Einlagen aus der Reihe „B. Boutique“ gegenüber Verbrauchern als Gratisabgabe anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren, wenn dies wie in Anlage B1 geschieht,

 

23  und/oder

 

24-25  b. ihre Inkontinenz-Einlagen aus der Reihe „B.“ gegenüber Verbrauchern als Gratisabgabe anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren, wenn dies wie in Anlage B3 und/oder Anlage B4 und/oder Anlage B5 geschieht,

 

26  und/oder

 

27-28  c. ihre Inkontinenz-Einlagen und/oder Inkontinenz-Höschen aus der Reihe „B.“ gegenüber Verbrauchern als Gratisabgabe anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren, wenn dies wie in Anlage B6 geschieht;

 

29-30  2. der Klägerin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen eine der Verpflichtungen gemäß Ziff. 1. ein Ordnungsgeld von bis zu Euro 250.000, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten anzudrohen;

 

31-32  3. festzustellen, dass die Klägerin verpflichtet ist, ihr allen Schaden zu ersetzen, welcher ihr durch die unter Ziff. 1. bezeichneten Handlungen entstanden ist und/oder zukünftig noch entstehen wird.

 

33  Die Klägerin hat beantragt,

 

34              die Hilfswiderklage abzuweisen.

 

35  Die Beklagte hat gemeint, dass sich die Klägerin rechtsmissbräuchlich verhalte, weil sie selbst eine „Gratis Testen“-Aktion betreibe.

 

36  In ihrer Gratisaktion liege kein Verstoß gegen das HWG, weil die Käufer den zuvor bezahlten Kaufpreis nur zurückerstattet bekämen und daher kein Werbegeschenk vorliege.

 

37  Jedenfalls sei die Gratisaktion nach § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. a. HWG zulässig, weil hiernach die Zuwendung eines bestimmten Geldbetrages erlaubt sei. Der zugewendete Geldbetrag sei durch den (später rückerstatteten Kaufpreis) bestimmbar. Schließlich seien die geltend gemachten Ansprüche der Klägerin ohnehin verjährt.

 

38  Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und nicht über die Hilfswiderklage entschieden. Zur Begründung der Klageabweisung hat es ausgeführt, dass die Beklagte nicht gegen § 7 Abs. 1 HWG verstoße. Sie könne sich auf den Ausnahmetatbestand gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. a. HWG stützen, weil die Rückerstattung eine Zuwendung eines bestimmten Geldbetrages im Sinne dieser Vorschrift darstelle, der der Höhe nach nicht begrenzt sei.

 

39  In der Rückerstattung des Geldbetrages liege auch keine Schenkung gemäß § 516 BGB, weil die Rückerstattung zum einen nicht voraussetzungslos erfolge und die Käufer sich zum anderen die Gewährleistungsrechte vorbehalten wollten.

 

40  Schließlich würde der Verkehr der Gratis-Aktion der Beklagten nicht entnehmen, das Produkt als nicht geringwertige Werbegabe oder Zuwendung zu erhalten, weil dieses zunächst unter Kaufpreiszahlung erworben werden müsse.

 

41  Gegen dieses Urteil, auf das gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie ist der Ansicht, dass sich die Beklagte nicht auf den Ausnahmetatbestand des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HWG berufen könne, weil die Geringwertigkeitsgrenze bei einem Kaufpreis von mindestens 8 € überschritten sei. Die Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HWG und nicht des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. a HWG sei anzuwenden, weil der Verkehr nicht die Rückerstattung des Kaufpreises, sondern den Erwerb des Produktes als Zuwendung verstünde. Selbst wenn die Ausnahmeregelung des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. a HWG anzuwenden wäre, lägen deren Voraussetzungen nicht vor, weil eine vollständige Kaufpreisrückerstattung von der Regelung nicht erfasst sei.

 

42  Die Klägerin beantragt,

 

43  unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Köln vom 25. Mai 2021 (Az.: 33 O 60/20):

 

44-45  I. die Beklagte zu verurteilen, es unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu EUR 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, im Rahmen geschäftlicher Handlungen zu unterlassen, das Medizinprodukt „„U. Lady Pants Plus“ gegenüber Verbrauchern als Gratisabgabe anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren, wenn dies wie in Anlage K5 und/oder Anlage BK5 und/oder Anlage BK6 geschieht.

 

46-47  II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr allen Schaden zu ersetzen, welcher ihr durch die unter Ziff. I. bezeichneten Handlungen entstanden ist und/oder künftig noch entstehen wird.

 

48  Die Beklagte beantragt,

 

49              die Berufung zurückzuweisen.

 

50  Hilfsweise, für den Fall, dass die Berufung Erfolg hat, stellt die Beklagte die Hilfsanträge wie in erster Instanz.

 

51  Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.

 

52  II.

 

53 Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg, weil die Beklagte mit ihrer „Gratisaktion“ nicht gegen § 7 Abs. 1 HWG verstoßen hat und der Klägerin somit kein Unterlassungsanspruch gemäß §§ 8, 3, 3a UWG i. V. m. § 7 Abs. 1 HWG zusteht.

 

54  1. Die Klage ist zulässig. Die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs durch die Klägerin ist insbesondere nicht rechtsmissbräuchlich, weil die Klägerin ein vergleichbares Verhalten gezeigt hat oder den Gerichtsstand in Köln gewählt hat.

 

55  Die Tatsache, dass die Klägerin ihr Produkt ebenfalls mit einer „Gratisaktion“ beworben hat, führt – wie das Landgericht mit Recht angenommen hat – nicht zu der Annahme, die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs durch die Klägerin sei rechtsmissbräuchlich.

 

56  Der Einwand der „unclean hands“, bei dem der Gläubiger selbst gleiche oder ähnliche Wettbewerbsverstöße begangen hat, führt nicht dazu, dass sich ein Anspruchsteller nicht auf die Wettbewerbswidrigkeit des Verhaltens des Schuldners berufen darf. Nach herrschender Meinung (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl., § 11 Rn. 2.39, mwN) kommt der Einwand allenfalls dann in Betracht, wenn der konkrete Wettbewerbsverstoß nur die Interessen des Wettbewerbers berührt, nicht aber darüber hinaus Interessen sonstiger Marktteilnehmer oder der Allgemeinheit.

 

57 Schließlich sollen wettbewerbsrechtliche Unterlassungsansprüche, die aufgrund von die Allgemeinheit betreffenden Wettbewerbsverstößen bestehen, nicht nur deshalb rechtsmissbräuchlich sein, weil dem Unterlassungsgläubiger selbst ein entsprechender Wettbewerbsverstoß vorzuwerfen ist. Denn dann blieben die Interessen der Allgemeinheit an einem lauteren Verhalten der Mitbewerber in diesen Fällen regelmäßig ungeschützt.

 

58 Vorliegend soll der Verbraucher durch die Vorschrift des § 7 Abs. 1 HWG – wie darzulegen ist – vor Entscheidungen geschützt werden, die sich nicht allein an der Qualität und Eignung der Arzneimittel oder Medizinprodukte orientiert. Der Schutz richtet sich somit an Verbraucher und damit an die Allgemeinheit, sodass der „unclean-hands“-Einwand ausgeschlossen ist.

 

59  Auch die von der Beklagten als „forum-shopping“ bezeichnete Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen vor unterschiedlichen Gerichtsständen im einstweiligen Verfügungs- und Hauptsacheverfahren ist nicht rechtsmissbräuchlich, weil der Gesetzgeber in § 35 ZPO das Wahlrecht der Klägerin zwischen mehreren zuständigen Gerichten ausdrücklich geregelt hat.

60Dies hat der Senat in der Entscheidung „WarnWetter-App“ (Urteil vom 13.07.2018 – 6 U 180/17, GRUR-RR 2018, 461 Rn. 308) angenommen. Der BGH hat diese Erwägungen bestätigt (Urteil vom 12.03.2020 – I ZR 126/18, BGHZ 225, 59 Rn. 41 – WarnWetter-App).

 

61  2. Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch besteht jedoch nicht, weil die Beklagte nicht gegen § 7 Abs. 1 HWG verstoßen hat.

 

62  a) Die Parteien sind Mitbewerber, sodass § 8 Abs. 1 UWG im Ausgangspunkt Anwendung findet. Die Werbung ist eine geschäftliche Handlung der Beklagten.

 

63  b) Die streitgegenständliche Inkontinenzunterwäsche ist ein Medizinprodukt im Sinne von Art. 2 Nr. 1 VO (EU) 2017/745, weil es sich hierbei um einen Gegenstand handelt, der für Menschen bestimmt ist und den medizinischen Zweck erfüllen soll, Inkontinenz zu lindern. Lindern ist die Verminderung der durch die Krankheit, ein Leiden oder einen Körperschaden hervorgerufenen objektiven und subjektiven Beschwerden (vgl. Rehmann in Wagner/Rehmann, MPG, 3. Aufl., § 3 Rn. 5).

 

64  c) § 7 Abs. 1 HWG stellt ferner eine Marktverhaltensregel nach § 3a UWG dar, sodass der wettbewerbsrechtliche Unterlassungsanspruch bei Verstoß hiergegen besteht. Die Vorschrift soll der abstrakten Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung begegnen, die von einer Wertreklame ausgeht, weil und soweit diese geeignet ist, ein wirtschaftliches Interesse an der Verschreibung oder Abgabe von Arzneimitteln zu wecken (vgl. BGH, GRUR 2017, 641 – Zuzahlungspflicht bei Hilfsmitteln; Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen aaO, § 3a Rn. 1.230).

 

65  d) Nach dieser Vorschrift ist es grundsätzlich unzulässig, Zuwendungen und sonstige Werbegaben (Waren oder Leistungen) anzubieten, anzukündigen oder zu gewähren oder als Angehöriger der Fachkreise anzunehmen, wenn nicht eine der ausdrücklich aufgeführten Ausnahmen anzuwenden ist.

 

66  Eine Zuwendung oder Werbegabe in diesem Sinne ist eine geldwerte Vergünstigung, für die kein eigenes oder nur ein symbolisches Entgelt zu zahlen ist. Der Oberbegriff der Werbegabe ist weit auszulegen und erfasst jede unentgeltliche Vergünstigung im Zusammenhang mit dem Erwerb einer Ware oder Dienstleistung (Fritsche in Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl., § 7 HWG Rn. 6).

 

67  Die Beklagte gewährt den Käufern ihres Produktes die Rückerstattung des gezahlten Kaufpreises, wenn diese ein Foto von der Verpackung nebst Kassenbon auf deren Website unter Angabe von Name, Anschrift und Bankverbindung hochladen. Wie auch das Landgericht zutreffend ausführt, stellt diese Kaufpreisrückerstattung entgegen der Ansicht der Beklagten eine unentgeltliche Vergünstigung im Zusammenhang mit dem Erwerb des Produktes dar und insofern eine Zuwendung oder Werbegabe gemäß § 7 Abs. 1 HWG.

 

68  Das Argument der Beklagten, dass der Kaufpreis nur bei Unzufriedenheit des Verbrauchers zurückerstattet werde und daher nicht als Zuwendung oder Werbegabe im Sinne des § 7 Abs. 1 HWG aufgefasst werde, überzeugt nicht. Zum einen ist nicht ersichtlich, weshalb eine nur im Falle der Unzufriedenheit erfolgende Rückerstattung keine unentgeltliche Zuwendung darstellen sollte. Die Unzufriedenheit mit einem Produkt liegt grundsätzlich immer im Risikobereich des Erwerbers und verschafft diesem nicht ohne weiteres einen Anspruch auf Kaufpreisrückzahlung. Zum anderen erfolgt die Rückerstattung ohne Angabe oder gar Überprüfung von Gründen und die Unzufriedenheit mit dem Produkt ist auch an keiner Stelle des Aufklebers als Voraussetzung für die Rückerstattung erwähnt. Der Klägerin ist insoweit – ebenso wie dem OLG Hamburg im einstweiligen Verfügungsverfahren (Az.: 3 U 137/18, Anlage K11) – zuzustimmen, dass das beschriebene Vorgehen der Beklagten grundsätzlich unter den Tatbestand des § 7 Abs. 1 HWG fällt und die Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung besteht.

 

69  e) Wie das Landgericht zutreffend ausführt, greift für die von der Beklagten praktizierte Kaufpreisrückerstattung allerdings der Ausnahmetatbestand des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. a HWG, wonach die Zuwendung oder Werbegabe zulässig ist, wenn sie in einem bestimmten oder auf bestimmte Art zu berechnenden Geldbetrag gewährt wird.

 

70  Entgegen der Ansicht der Klägerin ist nicht das Produkt an sich, sondern der unter den beschriebenen Voraussetzungen zurückgezahlte Kaufpreis der Zuwendungsgegenstand, sodass der Ausnahmetatbestand für geringwertige Gegenstände gemäß § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HWG nicht einschlägig ist.

 

71  Wie das Landgericht zutreffend ausführt, ist nicht ersichtlich, dass der Verkehr aufgrund des „GRATIS TESTEN“-Aufklebers erwartet, das Produkt selbst als kostenlose Zuwendung zu erhalten. Denn die nach Aufklappen des Aufklebers ersichtliche Anleitung zur Rückerstattung des Kaufpreises ist eindeutig: zunächst muss das Produkt käuflich erworben werden, der Kassenbon muss weiterhin ausgehändigt und anschließend mit der Verpackung abfotografiert und schließlich auf der Website der Beklagten unter Angabe von persönlichen Informationen hochgeladen werden. Insofern muss der Käufer nicht unerhebliche Anstrengungen unternehmen und mehr als für die bloße Zahlungsabwicklung erforderliche Angaben machen, um den Kaufpreis rückerstattet zu bekommen. Darüber hinaus sind ausweislich des Aufklebers nur Personen ab 18 Jahren teilnahmeberechtigt, eine Barauszahlung ist – anders als bei dem Erwerb des Produktes – ausgeschlossen und die Kaufpreisrückzahlung erfolgt auch nicht, wenn dieser bereits von einer Krankenkasse erstattet worden ist.

 

72  Maßgeblich ist, dass das Produkt zunächst von dem Verbraucher selbst vollständig bezahlt werden muss. Das Geldvermögen des Verbrauchers bleibt daher nicht unverändert, während das Produkt zusätzlicher Vermögensbestandteil würde. Denn durch den erforderlichen Abschluss eines Kaufvertrages wird das Geldvermögen des Verbrauchers als Gegenleistung für das Produkt unmittelbar gemindert. Die (eventuell später erfolgende) Kaufpreisrückerstattung hingegen ist allein von dem Willen des Verbrauchers abhängig, die hierfür erforderlichen Schritte vorzunehmen und somit nur mittelbar auf den Erwerb des Produktes zurückzuführen. Letztlich trägt der Verbraucher folglich das Risiko, bei Nichterfüllung der Teilnahmevoraussetzungen keinen Anspruch auf die Kaufpreisrückerstattung zu haben. Es kann daher nicht darauf abgestellt werden, dass das Vermögen des Verbrauchers bei einer Betrachtung ex-post nicht gemindert, sondern um das Produkt vermehrt wurde. Somit wird der Verbraucher, dessen Verständnis der Senat selbst bestimmen kann, die Ankündigung nicht als Abgabe des Produkts ohne Zahlung eines Entgelts verstehen. Darüber hinaus sind dem Verbraucher vergleichbare Aktionen bekannt, sodass er die weiteren Informationen über die Bedingungen der Rückerstattung berücksichtigen wird.

 

73  Aus dem Senatsurteil vom 01.06.2016 (6 U 151/15) folgt entgegen der Ansicht der Klägerin nicht, dass die praktizierte Kaufpreisrückerstattung an § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HWG zu messen sei und an dessen Geringwertigkeitsgrenze scheitere. Wie auch das OLG Hamburg (Az.: 3 U 137/18, Anlage K11) in dem vorausgegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren zutreffend ausführt, ging es in dem dortigen Fall nicht um eine Kaufpreisrückerstattung, sondern um die Zuwendung eines bei einem Internetversandhändler einzulösenden Gutscheins. Insoweit hat der Senat ausgeführt, dass mit der Zugabe des Gutscheins eine zusätzliche Werbemöglichkeit geschaffen werde, die Verbraucher auf die eigenen Produkte aufmerksam zu machen. Auf die hier streitgegenständliche Kaufpreisrückerstattung ist dies nicht übertragbar, weil der rückerstattete Kaufpreis nicht nur für weitere Produkte der Beklagten aufgewendet werden kann. Letztlich würde anderenfalls jede Rückerstattung, die in § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. a HWG grundsätzlich erlaubt ist, unzulässig.

 

74  Aus der Tatsache, dass der Aufkleber mit den Worten „GRATIS TESTEN“ beschriftet ist und erst nach Aufklappen die Voraussetzungen für die Kaufpreisrückerstattung sichtbar werden, folgt nichts anderes. Denn der durchschnittlich informierte und verständige Verbraucher, der der Werbung die der Situation angemessene Aufmerksamkeit entgegenbringt, ist mit vergleichbaren „Gratisaktionen“ – wie dargelegt – vertraut und weiß, dass so beworbene Produkte nicht voraussetzungslos erhältlich sind. Dieses Ergebnis wird bereits durch den Wortlaut „GRATIS TESTEN“ nahegelegt, der den Test und nicht den Erhalt des Produkts in den Vordergrund stellt. Vor diesem Hintergrund kann auch nicht auf die Bewerbung und damit die Ankündigung der „Gratis Abgabe“ als rechtswidrig abgestellt werden.

 

75  Ferner spricht auch der unbestrittene Vortrag der Beklagten, wonach nur 7 % der Käufer des Produktes den Kaufpreis zurückverlangt haben, dafür, dass die Verbraucher nicht das Produkt selbst, sondern den rückerstatteten Kaufpreis als Zuwendung erachtet haben.

 

76  f) Wie auch schon das OLG Hamburg in dem einstweiligen Verfügungsverfahren überzeugend ausführt, bezieht sich die Rückerstattung auf den vollständigen Kaufpreis des Produktes und damit auf einen „bestimmten oder auf bestimmte Art zu berechnenden Geldbetrag“.

 

77  Entgegen der Ansicht der Klägerin steht dem nicht entgegen, dass die Beklagte den Kaufpreis in Höhe von 100 % rückerstattet, weil der Wortlaut der Ausnahmeregelung des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. a HWG keine – relative oder absolute – Beschränkung der Höhe des Zuwendungsbetrages vorsieht (vgl. OLG Hamburg a. a. O. u. OLG Bamberg, 3 U 48/13).

 

78  Aus den von der Klägerin zitierten Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 14/5594, S. 10) folgt nichts anderes. Bei diesen Materialien handelt es sich um eine Stellungnahme des Bundesrates zu einem vom Bundestag erstellten Entwurf eines Gesetzes zur Aufhebung der Zugabeverordnung, in welchem eine der Ausnahmeregelung des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. a HWG entsprechende Ausnahme nicht vorgesehen war und der Bundesrat dies mit der Begründung kritisiert, dass damit „üblicherweise gewährte Geld oder Naturalrabatte und handelsübliche Werbegaben unzulässig“ seien. Hieraus folgt jedoch nicht, dass jene der Höhe nach beschränkt sein sollen.

 

79  Den Gesetzesmaterialien zufolge sollte lediglich sichergestellt sein, dass überhaupt eine entsprechende Ausnahmeregelung existiert. Wie aber schon dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. a HWG ist auch den von der Klägerin zitierten Gesetzesmaterialien kein gesetzgeberischer Wille zur Beschränkung der Höhe des gewährten Rabattes zu entnehmen. Vielmehr lässt sich dem Entwurf entnehmen, dass es dem Gesetzgeber gerade um eine Liberalisierung von unternehmerisch gewährten Zugaben und Rabatten ging (vgl. BT-Drucks. 14/5594, S. 8).

 

80  So ist auch der von der Klägerin zitierte Satz aus dem aktuellen Urteil des OLG Stuttgart (Az.: 2 W 23/20) zu verstehen: § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. a HWG soll dem Umstand Rechnung tragen, dass im Handelsverkehr übliche Rabatte auch auf Medizinprodukte gewährt werden, was ohne diese Ausnahme unzulässig wäre. Dass solche Rabatte der Höhe nach auf ein „handelsübliches Maß“ beschränkt sein sollen, lässt sich dem nicht entnehmen. Auf die Frage, ob Rabatte in Höhe von 100% des Kaufpreises noch „handelsüblich“ sind, kommt es daher nicht an. Es kommt hinzu, dass Rabatte auf Medikamente aus anderen Vorschriften untersagt sind.

 

81  Auch das systematische Argument der Klägerin, wonach eine unter der Ausnahmeregelung von § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. a HWG fallende vollständige Kaufpreisrückzahlung im Widerspruch zu Nr. 1 der Vorschrift stünde, weil so die Geringwertigkeitsgrenze umgangen werden könne, überzeugt letztlich nicht. Das Landgericht hat diesbezüglich zutreffend ausgeführt, dass bei einer vollständigen Kaufpreisrückzahlung nicht die Gefahr besteht, die Entscheidungsfreiheit der Abnehmer des Heilmittels durch Fehlvorstellungen vom Wert einer Zuwendung oder Werbegabe zu beeinträchtigen. Im Übrigen stünde nach der Argumentation der Klägerin nicht nur eine vollständige Rückerstattung im Widerspruch zu § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HWG, sondern bereits jede, die dessen Geringwertigkeitsgrenze überschreitet. Dies kann vom Gesetzgeber nicht intendiert sein, weil der Anwendungsbereich von § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. a HWG anderenfalls kaum eröffnet wäre.

 

82  Auch aus der von der Klägerin zitieren Entscheidung des LG München I (33 O 11741/06) folgt nichts anderes, weil es hierbei um die Zuwendung von Arzneimitteln zum Preis von 0,01 € ging, die (auch nach damaliger Fassung des § 7 HWG) von dem Ausnahmetatbestand nicht erfasst sind. Hier gelten insbesondere weitere Vorschriften zur Preisbindung bei Arzneimitteln.

 

83  Auf die Frage, ob der Anspruch verjährt ist, kommt es vor diesem Hintergrund nicht an. Dem dürfte allerdings die Hemmung durch das Verfügungsverfahren und die Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Einreichung der Klage entgegenstehen, soweit der Unterlassungsanspruch geltend gemacht wird.

 

84  3. Die Kosten der Berufung sind gemäß § 97 ZPO von der Klägerin zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

 

85  4. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist die Revision zur Fortbildung des Rechts oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Insbesondere teilt der Senat die dargestellte Ansicht des Oberlandesgerichts Hamburg.

 

86  5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 100.000 € festgesetzt.